Onkologie Köln
Dr. med. H. Tilman Steinmetz
Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Onkologie
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50677 Köln
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Hämatologie und Hämostaseologie
Onkologie und Palliativmedizin
Persönliche Schwerpunkte
• Supportive Therapie
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• Weichteiltumoren
• Blutbildung
• MDS und Lymphome
• Diagnostik aller Blut- und Krebserkrankungen
Beratung + Erstellen von Therapiekonzepten
• Immuntherapie und Hormontherapie
• Orale, intracavitäre und intravenöse Chemotherapie
• Transfusionszentrum
• Ernährungsberatung
• Sozial-Sprechstunde
• Psychotherapeutische Beratung
Terminvereinbarung: Tel. 0221-9318220
DR. STEINMETZ: Wir beginnen um 19 Uhr.
Vickie (Sylt) : Was bedeutet eigentlich Blutarmut bei Krebserkrankungen? Ist da wirklich zu wenig Blut vorhanden, oder sind im Blut bestimmte Stoffe zu wenig? Vermutlich gibt es viele Arten von Blutarmut, oder?
DR. STEINMETZ: Blutarmut bei Krebserkrankten gibt es wirklich. In der Regel meint man damit eine Verminderung der Anzahl der roten Blutkörperchen und vor allem der Menge des Eiweißstoffes, der in den roten Blutkörperchen enthalten ist. Den man Hämoglobin nennt. Dieses Hämoglobin ist die wichtigste Substanz, an die Sauerstoff gebunden wird und mit dem Sauerstoff im Körper transportiert. Eine Verminderung des Hämoglobinwertes nennt man Anämie.
Winkler-ra : Meine Blutwerte waren von Anfang an schlecht. Was löst die Blutarmut und die schlechte Zusammensetzung vom Blut aus? Ist das der Krebs selbst, bei mir ist das Brustkrebs, oder macht das die Chemotherapie?
DR. STEINMETZ: Das ist ganz typisch, dass bei einer bösartigen Erkrankung schon vor einer eventuellen Chemotherapie eine Blutarmut auftreten kann. Die Ursache hierfür ist sehr vielfältig. Das können Blutverluste sein, wie es beispielsweise bei Darmkrebs häufig vorkommt. Das können Verminderungen von Eisen oder Vitaminen im Körper sein. Oder es ist ein chronischer Entzündungsprozess, der durch den Tumor ausgelöst wird und der zu einer Verschlechterung der Blutbildung führt. Zusätzlich kann natürlich auch die Chemotherapie zu einer Verminderung der roten Blutkörperchen führen.
K_Otter : Mein Onkel leidet unter einem Lymphom. Es geht ihm zwischen durch besser, dann muss er mal wieder eine Chemo bekommen. So richtig zur Ruhe kommt er nicht und wir alle mit ihm nicht. Die Nebenwirkungen der Chemotherapie kennen wir inzwischen und erwarten sie dann auch. Dazu gehört eine grenzenlose Erschöpfung, die sich immer nach relativ kurzer Zeit einstellt. Ein bisschen unterschiedliche ist das schon und wir haben noch nicht herausgefunden warum. Gibt es blutaufbauende Mittel, wenn die Grunderkrankung ein Lymphom ist oder ist das contraproduktiv?
DR. STEINMETZ: Bei den Lymphomen haben wir die Besonderheit, dass sie manchmal auch in der Blutbildung sich ausgebreitet haben, d. h. die Blutbildung ist deshalb schlecht, weil das Lymphom im Knochenmark sich ausgebreitet hat und sich zu wenig rote Blutkörperchen bilden. In einem solchen Fall muss die Zahl der Lymphomzellen zunächst durch eine Chemotherapie vermindert werden, damit wieder genügend Platz im Knochenmark für die gesunde Blutbildung entsteht. Wenn dies der Fall ist, ist es u. U. möglich, mit blutbildenden Mitteln, wie z. B. Erythropoese stimulierenden Faktoren (= Erythropoetin) die Blutbildung zu fördern.
Sachs2 : Aufgrund meiner schlechten Blutwerte (besonders der Verlust roter Blutkörperchen) wurde eine Transfusion mit Blutplättchen vorgeschlagen. Trotzdem soll ich noch Medikamente bekommen. Reicht nicht eins oder das andere? Ich wäre dann lieber für die Transfusion, weil mir das als der geringere Eingriff in das natürliche System erscheint. Oder sehe ich das zu einfach?
DR. STEINMETZ: Hier muss zunächst zurück gefragt werden, welche Blutwerte vermindert sind. Wenn der Hausarzt oder Onkologe das so genannte kleine Blutbild bestimmt, werden die drei Zellarten im Blut gemessen. Die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) sind für die Infektionsabwehr zuständig. Die Blutplättchen (Thrombozyten) sind für die Blutstillung verantwortlich und können, wenn sie sehr stark vermindert sind, durch eine Bluttransfusion - in dem Fall eine Thrombozytentransfusion - behandelt werden. Die dritte Zellsorte sind roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die wenn sie sehr stark vermindert sind, durch eine Erythrozyten-Transfusion (im Volksmund Bluttransfusion) behandelt werden kann. Häufig ist es so, dass ein Patient wegen einer sehr starken Verminderung der roten Blutkörperchen zunächst zwei Beutel Blut erhalten muss, um dann hinterher eventuell andere fehlende Substanzen (Eisen, Vitamine oder Erythropoetin) zu erhalten.
Gloe : Mit EPO ist ja im Sport viel Unwesen getrieben worden. Wie kommt es, dass das dennoch bei Kranken medizinisch eingesetzt wird?
DR. STEINMETZ: EPO oder Erythropoetin ist eine Substanz, die jeder Mensch tagtäglich produziert, damit er selbst ausreichend rote Blutkörperchen hat. Seit es gelungen ist, sie künstlich herzustellen, wird sie vor allem medizinisch genutzt aber natürlich auch im Sport missbraucht. Da Erythropoetin in den Nieren hergestellt wird, wurde EPO zunächst bei Patienten mit ausgeprägter Nierenschwäche, z. B. Dialyse-Patienten, eingesetzt, denen damit viele Bluttransfusionen erspart werden konnten. Wenn Erythropoetin bei einem Gesunden (Sportler) eingesetzt wird, ist es ebenfalls wirksam und erhöht die Zahl der roten Blutkörperchen über das normale Maß hinaus. Insbesondere Ausdauersportler sind leistungsfähiger und können schneller rennen oder Fahrrad fahren, wenn sie eine höhere Zahl von roten Blutkörperchen haben.
Hofra : Was ist der Unterschied zwischen Erythropoetin und Epoetine?
DR. STEINMETZ: Da gibt es keinen Unterschied, das ist nur eine verkürzte Ausdrucksweise. Die im Körper hergestellte Substanz wird als Erythropoetin bezeichnet. Bei den industriell hergestellten EPO-Substanzen gibt es kleine Unterschiede, weshalb wir z. B. von Erythropoetin Alpha, beta oder ceta oder Darbepoetin sprechen. Diese Substanzen sind alle sehr ähnlich wirksam und werden zusammenfassend als Epoetine bezeichnet.
G_Holdt : Unserem Vater wurde eine Bluttransfusion empfohlen, um die gegenwärtige Krise zu überwinden. Danach soll er dann Medikamente bekommen. Wir fragen uns, ob es nicht besser wäre, wenn er weiterhin Bluttransfusionen bekommen würde. Dies wurde verneint. Es fällt uns schwer zu glauben und nutzen sehr gern diese Möglichkeit für eine 2. Meinung. Herzlichen Dank dafür.
DR. STEINMETZ: Bei jeder Blutarmut ist es zunächst erforderlich das Ausmaß der Verminderung festzustellen. Wenn der Arzt einen sehr niedrigen Hämoglobinwert misst, wird er dann eine Bluttransfusion empfehlen. Gleichzeitig aber wird er Untersuchungen durchführen, um die Ursache der Verminderung festzustellen, um dann nach der Verbesserung des HB-Wertes diese Ursache zu behandeln. Und wenn diese Ursache beispielsweise in einer verminderten Vitamin- oder Eisenmenge liegt, müssen diese medikamentös ersetzt werden und wenn die Ursache in einem Nierenversagen bzw. Erythropoetin-Mangel liegt, dann sollte dieser entsprechend behandelt werden.
anonym : Was sind die genauen Entscheidungskriterien für Medikamente oder Bluttransfusion? Gibt es Standards nach denen entschieden wird? Leitlinien? Wie viel Raum für eigene Entscheidung des Arztes?
DR. STEINMETZ: In diesem Fall gibt es verschiedene Leitlinien, die dem Arzt einen Entscheidungskorridor eröffnen. Die Betonung liegt hier auf "Korridor", weil nicht ein einzelner Zahlenwert über das Ja oder Nein zu einer Bluttransfusion entscheiden kann. Es ist immer die Summe verschiedener gemessener Blutwerte und dem Zustand des Patienten, der die Entscheidung für eine Bluttransfusion erlaubt. Bei einer großen Umfrage hat sich gezeigt, dass in der Regel erst bei einem HB-Wert kleiner 8,5 g/dl eine Transfusion empfohlen wird. Es sei denn, der Patient hat zusätzlich eine Herz- oder Lungenerkrankung. In diesem Fall würde bereits bei einem HB-Wert kleiner 9 g/dl eine Übertragung erfolgen.
Luckner : Ich hatte immer eine Neigung zu einem niedrigen Hb-Wert Mein Blutwert liegt jetzt bei Hb 11. mit der Bestrahlungstherapie wegen Prostatakrebs (nach OP) bin ich halb durch und finde das mega-anstrengend. Jetzt soll ich eine Tablettenbehandlung bekommen (noch mehr Chemikalien!) die den Hb-Wert anheben soll. Frage ist, ob das wirklich nötig ist, weil ich eigentlich immer diesen niedrigen Wert hatte?
DR. STEINMETZ: Solange nicht bekannt ist, welcher Wirkstoff in den Tabletten enthalten ist, ist die Frage schwer zu beantworten. Wenn es sich z. B. um Eisentabletten handelt, kann es sehr sinnvoll sein, auf diese Weise den Hb-Wert etwas weiter anzuheben.
Renner8 : Mein Vater hatte einen Rückfall (Darmkrebs Mai 2007, OP+Chemo) und jetzt fängt alles wieder von vorn an. Damals ging es ihm sehr schlecht, weil durch die Chemotherapie die gesunde Blutproduktion im Rückenmark beeinträchtigt war. Jedenfalls hat man uns das so erklärt. Ich habe jetzt viele Informationen gesucht und zusammengepuzzelt. Wenn ich mir in Erinnerung rufe, dass jedes Jahr im Winter mehrere Wintersportler des Blutdopings beschuldigt und überführt werden, dann könnte diese Methode zur Abwechslung mal sinnvoll eingesetzt werden. Kann man nicht dieses Verfahren einsetzen und damit für ausreichend gesundes gut ausbalanciertes Blut sorgen?
DR. STEINMETZ: Wenn es bei der jetzt anstehenden Behandlung Ihres Vaters erneut zu einer deutlichen Verminderung der Blutzellen kommt, wird der behandelnde Arzt mit Sicherheit auch Untersuchungen durchführen, um die Ursache festzustellen. Sobald ein Eisenmangel oder Vitaminmangel ausgeschlossen ist, kann tatsächlich überlegt werden, mit EPO die Blutbildung für die roten Blutkörperchen zu verbessern. Diese Behandlung wirkt aber nicht auf die weißen Blutkörperchen und Blutplättchen (Thrombozyten), die ebenfalls vermindert sein könnten.
Häffner : Wofür steht ESF in Verbindung mit Anämie?
DR. STEINMETZ: ESF ist die Abkürzung Erythropoese stimulierende Faktoren. Man meint damit alle Substanzen, die analog zu dem körpereigenen Erythropoetin die Bildung von roten Blutkörperchen im Knochenmark anregen können. Zu diesen Substanzen rechnet man Erythropoetin alpha, beta, ceta und Darbepoetin.
Denkmer : Als Laie erklärt sich mir nicht, wieso die Chemotherapie derart gravierend ausgerechnet im Knochenmark wirkt. Wie schafft man es, die Wirkung auf den Tumor zu konzentrieren und das Knochenmark weniger zu tangieren?
DR. STEINMETZ: In der Regel wirkt eine Chemotherapie auf alle die Gewebe und Organe unseres Körpers ein, bei denen ein hoher Zellumsatz bzw. ein starkes Zellwachstum besteht. Dazu gehört die Blutbildung (Knochenmark) und die Darmschleimhaut. Eine Chemotherapie soll das Wachstum von bösartigen Zellen (Tumor) hemmen und trifft deshalb leider auch häufig die Organe unseres Körpers, in denen ein hohes Zellwachstum festzustellen ist. Dies kann also zur Schädigung der Schleimhäute, wie z. B. Durchfälle, führen oder die Blutbildung vermindern.
Jantzen : Hinter mir liegt eine große Darmkrebs-Operation nach der ich immer wieder Zweifel hatte, ob es der richtige Weg ist, ob es nicht einfacher gewesen wäre alles sein zu lassen. Meine Familie kämpft mit mir. Deshalb geht es jetzt auch weiter mit Chemotherapie. In der Vorbesprechung habe ich erfahren, was jetzt auf mich zukommt. Meine Haar kann ich offenbar behalten. Anders als bei den meisten Männern meines Alters (48) habe ich den Kopf noch voll. Dafür erwarte ich andere Nebenwirkungen. Dazu gehört Blutarmut. Die soll, wenn sie denn auftritt, mit Erythropoese-stimulierenden Substanzen begegnet werden. Das ist für mich noch alles Theorie, aber es stellt sich mir natürlich die Frage, ob 100% sicher ist, dass dadurch der Effekt der Chemotherapie nicht eingeschränkt wird. Ich würde sonst lieber auf Begleittherapien und Linderung verzichten, um das eigentliche Ziel zu erreichen.
DR. STEINMETZ: Bis jetzt konnte noch in keiner Untersuchung gezeigt werden, dass durch Erythropoese stimulierende Substanzen die Wirksamkeit einer Chemotherapie vermindert wird oder Tumorwachstum beschleunigt wird. Insofern gilt eine ESF-Behandlung als sicher, sie sollte aber nur dann eingesetzt werden, wenn andere Behandlungsmöglichkeiten einer Blutarmut nicht in Frage kommen.
Baltzer : Ist eine Stammzellthearpie bei Anämie, die durch Krebsmedikamente ausgelöst wurde sinnvoll?
DR. STEINMETZ: Bei einer alleinigen Verminderung der roten Blutkörperchen (Anämie) ist eine Stammzelltherapie nicht sinnvoll. Sollte aber das Bild einer so genannten aplastischen Anämie vorliegen, bei der alle drei Blutzellarten (weiße Blutkörperchen, rote Blutkörperchen, Blutplättchen) vermindert sind, dann kann eine Stammzelltherapie sinnvoll sein.
Hesse3 : Ich habe seit ich erwachsen bin immer einen sehr niedrigen Eisenwert im Blut. Immer so an der unteren Kante um 12 mal kurz drüber, aber meist kurz drunter. Deshalb habe ich regelmässig Eisentabletten geschluckt. Dann ging es mal wieder. Es konnte nie richtig festgestellt werden, woran das lag. Aber ich komme damit bisher ganz gut zurecht. Jetzt ist es aber so, dass ich eine prophylaktische Chemotherapie bekommen soll nach Gebärmutterentfernung, kein Lymphknotenbefall. Meistens verschlechtern sich die Gesundheitsbereiche, die sowieso immer schon anfällig waren. Ist damit zu rechnen, dass ich dann mehr als normal mit einem Abfall der Thrombos rechnen muss?
DR. STEINMETZ: Sehr viele Frauen haben immer wieder mit einem Eisenmangel und in der Folge davon einer Anämie (Verminderung des Hb-Wertes unter 12 g/dl) Probleme, solange sie regelmäßig Monatsblutungen haben. Der monatliche erhöhte Verlust von Blut wird nicht durch die normale Ernährung ausgeglichen, weshalb sehr viele Frauen immer wieder Eisenpräparate einnehmen müssen. Nach einer Gebärmutterentfernung kommt es nicht mehr zu den monatlichen Blutverlusten, so dass dieser Risikofaktor für eine Blutarmut entfällt. Die Zahl der Blutplättchen (Thrombos) wird nicht durch Eisentabletten, Blutungen oder Operationen beeinflusst.
Borgardt : Ab wann spricht man von einer Anämie? Ist unter 10 die Grenze?
DR. STEINMETZ: Die Weltgesundheitsorganisation definiert eine Anämie bei Frauen bei einem Hb-Wert kleiner 12 g/dl und für Männer bei einem Hb-Wert kleiner 13 g/dl.
Varitta : Ich verstehe nicht was für eine Rolle die Nieren bei der Blutbildung spielen, denn das Blut wird doch im Rückenmark gebildet, aber jetzt hat mir der Onkologe erzählt, dass da die Nieren mit zu tun haben und es geht um einen Druckabfall. Das klingt alles sehr kompliziert, deshalb habe ich größte Sorge, wenn in dieses komplizierte System dann noch zusätzlich eingegriffen wird. Habe das Gefühl, da bleibt gar nichts mehr für meinen Körper zu regulieren und der Körper ist dann komplett fremdgesteuert. Mich ängstigt das alles total.
DR. STEINMETZ: Die Blutbildung findet im Knochenmark statt, das wiederum im Inneren aller großen Knochen des menschlichen Körpers zu finden ist. Die Blutbildung selbst benötigt Bausteine, wobei die wichtigsten Bausteine für die roten Blutkörperchen Eisen und B-Vitamine sind. Die Zellen der roten Blutbildung werden durch das körpereigene Blutbildungshormon Erythropoetin angeregt und dieses Erythropoetin wird in den Nieren gebildet. Insofern ist eine normale Nierenfunktion auch wichtig für eine gesunde Blutbildung.
Sabi_Nöhr : Was sind die Orientierungswerte und wonach bemessen sich Stadien bei Blutarmut? Wird da ein Unterschied gemacht zwischen einem gesunden Menschen und wenn man eine Chemo hat oder gelten die Stadien unabhängig davon?
DR. STEINMETZ: Die in früheren Lehrbüchern aufgeführten Stadien einer Blutarmut werden heute praktisch nicht mehr angewendet. Entscheidend ist einzig und allein, welche Folgen die Verminderung der roten Blutzellen beim einzelnen Patienten hat. Manche Menschen bemerken ihre Blutarmut erst, wenn der Hb-Wert unter 8 g/dl abgefallen ist, während andere schon bei einem Hb-Wert zwischen 10 und 11 g/dl ausgeprägte Symptome, wie Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Leistungsminderung, haben können. Die Notwendigkeit der Behandlung sollte sich immer nach den Beschwerden des Patienten richten.
Melkonius : Im Rahmen einer Beratung wurde im Vorfeld von einem Handlungsalgorhyhtmus gesprochen, der festlegt, welche Schritte und Maßnahmen wann unter welchen Bedingungen ausgeführt werden. Wir waren sehr beeindruckt über die Vorausschauende Planung und auch Information, in die wir eingebunden worden sind. Wenngleich wir aufgrund der Fülle von Information nicht richtig verstanden haben, was das genau alles ist. Es wäre sehr hilfreich, wenn wir heute hier eine Erklärung bekommen könnten.
DR. STEINMETZ: Wir können Ihnen leider nicht beantworten, welchen Handlungsalgorhythmus Ihre behandelnden Ärzte für Sie vorgesehen haben. Es klingt aber in jedem Fall sehr vertrauenserweckend, wenn Ihre behandelnden Ärzte einen vorausschauenden Plan aufgestellt haben, mit dem Ihre Behandlung durchgeführt werden soll.
MODERATOR: Wir machen nun eine kurze Pause. Die Beantwortung Ihrer Fragen setzen wir in wenigen Minuten fort.
TF : Zur Anregung der Erythrozytenproduktion wird öfter die Einnahme eines Vitamin-B-Komplex mit den Vitaminen B1, B6, B12 / Folsäure empfohlen. Bringt das aus Ihrer Sicht etwas? Gibt es weitere bzw. andere Möglichkeiten, mit denen der Patient selbst etwas gegen die Anämie tun kann?
DR. STEINMETZ: Für eine ausreichende Erythrozytenproduktion sind die genannten Vitamine in jedem Fall erforderlich, auch wenn sie selber die Blutbildung nicht stimulieren können. Eine ausreichende Vitaminzufuhr ist aber für jeden Tumorpatienten wichtig. Der zweite sehr wichtige Baustein für die Blutbildung ist das Eisen, das vor allem in Fleischprodukten enthalten ist. Deshalb ist es von enormer Wichtigkeit, dass der behandelnde Arzt vor der Behandlung einer Anämie eine Diagnostik durchführt, mit der er die körpereigenen Eisen- und Vitaminreserven untersucht. Außer einer ausgeglichenen vitaminreichen Ernährung können keine weiteren Maßnahmen empfohlen werden, um die Blutbildung gezielt zu verbessern.
Angerer : Wie schätzt Dr. Steinmetz Medikamente ein, die dafür sorgen, dass sich rote und weiße Blutkörperchen ausreichend vermehren und erneuern?
DR. STEINMETZ: Mit diesen Medikamenten sind die blutbildenden Hormone oder Wachstumsfaktoren gemeint. Wir unterscheiden hier einmal in Medikamente, die spezifisch die weißen Blutkörperchen (Granulozyten) anregen und die als G-CSF bezeichnet werden. Die roten Blutkörperchen werden durch Erythropoetine (EPO) angeregt. Beides sind sehr wichtige Medikamente, die ihren festen Stellenwert in der Behandlung von Tumorerkrankungen bei Patienten unter Chemotherapie haben.
Silvi_Wehrhan : Kann ein Mangel an roten Blutkörperchen auch durch Eisenmangel entstehen?
DR. STEINMETZ: Der Eisenmangel ist die häufigste Ursache für eine Blutarmut (Anämie) und somit dem Mangel an roten Blutkörperchen.
DR. STEINMETZ: Die häufigste Ursache für einen Eisenmangel wiederum ist bei jungen Frauen die regelmäßige Monatsblutung und bei Frauen nach den Wechseljahren und bei Männern ein versteckter Blutverlust durch eine Blutung im Darm. Es ist eher selten, dass ein Eisenmangel durch eine streng fleischfreie Ernährung auftritt.
Pleß : Wie kann sichergestellt werden, dass durch Wachstumsfaktoren bei Anämie nur die richtigen Zellen zum Wachstum angeregt werden und dies sich nicht auch auf den Tumor (Brust, wird bestrahlt) überträgt?
DR. STEINMETZ: Die Wirksamkeit von Erythropoetin kommt dadurch zustande, dass Erythropoetin auf einen speziellen Rezeptor einwirkt, der fast ausschließlich auf den Zellen der roten Blutbildung zu finden ist. Man spricht deshalb auch von einer linienspezfischen Wachstumsstimulation. In den letzten 10 Jahren konnte noch nie ein Tumorwachstum durch Erythropoetin bei Tumorpatienten beobachtet werden.
Cemre : Kann man eine vorbeugende EPO-Behandlung machen, damit gar keine Blutarmut erst eintritt?
DR. STEINMETZ: Von einer vorbeugenden EPO-Behandlung muss dringend abgeraten werden. Eine solche Therapie würde zu einem Anstieg des roten Blutfarbstoffes (Hb) und der Erythrozytenzahl führen, die auch nachteilige Wirkungen (z. B. Thrombosegefahr) für den Körper haben kann. Es ist viel sinnvoller, bei einer beginnenden Blutarmut eine rasche Diagnostik durchzuführen, um die Ursache der Anämie einzugrenzen, um dann eine symptomatische Blutarmut frühzeitig behandeln zu können.
Hoppe : Die Bio-Synthese von Epo findet hauptsächlich in den Nieren statt, wie kann das sein, wenn sonst die Bildung roter Blutkörperchen im Rückenmark stattfindet? Könnte man so, das Problem der Minderproduktion im Rückenmark umgehen?
DR. STEINMETZ: In unserem Körper ist es vielfach so, dass ein Hormon in einem anderen Organ produziert wird, als in dem es seine Wirkung entfaltet. So wird z. B. das schilddrüsen-stimulierende Hormon in der Hirnanhangsdrüse hergestellt und wirkt in der Schilddrüse. Die von den Eierstöcken produzierten Östrogene wirken in der Gebärmutter und in der Brustdrüse. Gleichermaßen wirkt das in den Nieren produzierte EPO blutbildend im Knochenmark.
Monigerber : Mein Freund hat Prostatakrebs mit Bestrahlung und Chemo. Er ist immer kaputt. Seit einiger Zeit leidet er an Atemnot. Wir haben jetzt Angst, dass er Metastasen in der Lunge hat, aber der Arzt sagt nein und sagt, das geht auf Konto Blutarmut. Er hat uns das erklärt, aber wir waren so konsterniert und haben den Zusammenhang nicht wirklich verstanden. Die Lunge röntgen will er nicht. Könnte Dr. Steinmetz das erklären? Vielen Dank im voraus!
DR. STEINMETZ: Die Folgen einer Blutarmut sind tatsächlich sehr vielfältig. Neben der Müdigkeit beklagen viele Patienten tatsächlich eine ausgeprägte Luftnot, vor allem bei leichter Anstrengung, auch wenn die Lunge selber vollkommen gesund ist. Dies hängt damit zusammen, dass die roten Blutkörperchen, das Hämoglobin, die wichtigsten Sauerstofftransporteure unseres Körpers sind. Wenn nun die Zahl der Sauerstofftransporteure deutlich vermindert ist, versucht der Körper dies durch eine angestrengtere und schnellere Atmung auszugleichen. Auf der anderen Seite haben Sie Recht, dass das Symptom "Luftnot" natürlich auch mal durch eine Erkrankung der Lunge oder Lungenmetastasen ausgelöst sein kann. Dies kommt allerdings bei einem Prostatakarzinom eher selten vor.
Vanny : Mein Arzt hat mir gesagt, dass ich wegen Blutarmut und nicht genug roter Blutkörperchen so schlapp bin und nichts mehr hinbekomme. Ich denke das gehört wohl zu der gesamten Erkrankung. Mein Arzt sagt aber das kann so nicht bleiben, weil die anderen Organe darunter leiden. Aber leiden die nicht unter der Chemotherapie viel mehr? Die Chemo soll maximal wirken, das hat vorrang vor allem anderen.
DR. STEINMETZ: Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Leistungsminderung beklagen sehr viele Tumorpatienten und es ist immer notwendig, nach den möglichen Ursachen zu forschen. In vielen Fällen findet man nur einen fortgeschrittenen bösartigen Tumor oder eine stark wirksame Chemotherapie als Erklärung. Auf der anderen Seite hat jeder Patient mit einer ausgeprägten Anämie die gleichen Beschwerden, wie Müdigkeit und Leistungsminderung. Jeder gewissenhafte Onkologe wird deshalb bestrebt sein, eine stärkere Anämie so gut wie möglich zu behandeln, um den Zustand seines Patienten zu verbessern. Die Wirksamkeit der Chemotherapie wird dadurch sicher nicht beeinträchtigt. Wenn zu lange eine ausgeprägte Blutarmut besteht, können tatsächlich auch andere - bislang gesunde Organe - Schaden nehmen. Hierzu gehört vor allem das Herz, welches bei einer Blutarmut in der Regel deutlich schneller schlägt und dadurch mehr leisten muss.
Präsident : Ich habe eine Anämie, sonst bin ich gesund, die als anormale Verringerung der roten Blutkörperchen bezeichnet wird. Deshalb soll ich eine Bluttransfusion bekommen. Jetzt weiß ich dass man auch Medikamente bekommen kann, was ich mir angenehmer vorstelle, als eine Transfusion. Was ist jetzt besser, so häufig wie möglich Transfusionen, um keine Medikamente nehmen zu müssen, oder lieber Medikamente, um kein fremdes Blut aufnehmen zu müssen mit allen verbunden Risiken?
DR. STEINMETZ: Bei Ihnen ist vor allem notwendig, dass ein Hämatologe eine gewissenhafte Diagnostik durchführt, um die Ursache Ihrer Anämie zu ergründen. Es kann schon sein, dass es zu Beginn erforderlich ist, Ihnen eine Bluttransfusion zu geben, um Sie aus einem gefährlich niedrigen Hb-Wert herauszuholen. In vielen Fällen kann man dann anschließend eine weitere medikamentöse Therapie der Anämie durchführen und somit auf Bluttransfusionen verzichten. Bluttransfusionen sollten nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn keine andere Therapiemöglichkeit für die Blutarmut besteht und die Blutarmut gleichzeitig sehr ausgeprägt ist. Jede Blutübertragung muss wie eine kleine "Organtransplantation" mit allen damit verbundenen Risiken betrachtet werden und darf auch nur von entsprechenden qualifizierten Ärzten durchgeführt werden.
Leithmann : Woran liegt es, dass nicht alle Patienten eine Anämie durch die Chemotherapie bekommen? Kann ich das evtl. sogar verhindern?
DR. STEINMETZ: Es gibt sehr viele verschiedene Chemotherapien, die alle im unterschiedlichen Ausmaß zu einer Anämie führen können und zudem von jedem Patienten anders vertragen werden. Insofern können wir vor Beginn einer Behandlung immer nur eine Wahrscheinlichkeit angeben, mit der wir mit einer Anämie rechnen.
Jet Pohlmann : Woraus besteht Epo? Ist das das Gleiche, was die Radfahrer und Skiläufer immer nehmen, was eigentlich nicht erlaubt ist? Kommt das aus der Medizin, oder nutzt die Medizin die Erkenntnisse des Sports?
DR. STEINMETZ: EPO oder Erythropoetin ist ein körpereigener Eiweißstoff, der in den Nieren produziert wird. Ende des 20. Jahrhunderts ist es gelungen, Erythropoetin künstlich herzustellen, wobei das künstlich hergestellte EPO die gleiche Wirksamkeit wie das natürlich EPO hat. Das von Radfahreren und anderen Sportlern benutzte EPO ist das gleiche, welches verantwortungsvolle Ärzte in der Medizin zur Behandlung einer Blutarmut bei Dialysepatienten oder bei Chemotherapie induzierter Anämie einsetzen.
Wa. Schrage : Was genau passiert mit im Knochenmark bei der Neubildung roter Blutkörperchen durch die Chemotherapie? Wird die ganz eingestellt? Mit welchen Folgen außer Erschöpfung? Das muss sich doch auch auf innere Organe auswirken. Wie?
DR. STEINMETZ: Die Blutbildung im Knochenmark funktioniert dadurch, dass sich unreife Blutzellen teilen und dann weiter zu den ausgereiften Blutzellen, z. B. den Erythrozyten, differenzieren. Die Chemotherapie verhindert oder vermindert zumindest vorübergehend die Teilung und Differenzierung der blutbildenden Zellen, so dass im Endeffekt eine Verminderung der reifen Blutzellen die Folge ist. Sobald die Chemotherapie wieder abklingt - in der Regel nach wenigen Tagen - setzt die Blutbildung wieder ein und die Zellzahlen können sich erholen. Die Erschöpfung, die ein Chemotherapie-Patient verspürt, kann einerseits die direkte Folge der Anämie (Verminderung der roten Blutkörperchen) sein. In vielen Fällen ist ein Patient aber allein durch die Wirkung und Folgen der Chemotherapie erschöpft und müde, auch ohne dass eine Blutarmut vorliegt.
Heutling : Ist Epo ein Medikament, das nur für Sportler gemacht wurde? Ich soll nämlich so etwas ähnliches nehmen, wegen Erschöpfung durch meine Chemotherapie. Aber das macht mir Angst. Zwar nehmen Spitzensportler das auch, aber die sind ja gesund. Allerdings super blöd. Wie kann man das freiwillig machen??? Kann ich das trotzdem nehmen?
DR. STEINMETZ: Erythropoetin ist zunächst als ein Medikament für Patienten mit verminderter Nierenfunktion (z. B. Dialyse) entwickelt worden und hat sich für diese Patienten als sehr segensreich erwiesen. Als hochwirksamer Wirkstoff ist EPO natürlich auch bei Gesunden (Sportlern) wirksam, häufig allerdings auch mit fatalen Folgen. Wenn Ihr behandelnder Arzt entsprechende Untersuchungen bei Ihnen durchgeführt hat und Ihnen deshalb zu einer Behandlung mit Erythropoetin geraten hat, können Sie den Behandlungsvorschlag ruhig annehmen. Es sollte nur darauf geachtet werden, dass der rote Blutfarbstoff nicht zu stark ansteigt und die EPO-Behandlung spätestens bei einem Hb-Wert von 12 g/dl beendet wird. Wenn diese Behandlung erfolgreich ist, sollten Sie dies durch eine deutlich gesteigerte Leistungsfähigkeit und verminderter Müdigkeit und Erschöpfung positiv bemerken.
Kübra : Durch Chemo habe ich eine Hypoxie bekommen. Man merkt das erst nicht so richtig und kann die Schwäche nicht zuordnen. Glücklicherweise ist das bei einer Blutuntersuchung entdeckt worden. Und ich bekomme Wachstumsfaktoren, damit sich wieder mehr rote Blutkörperchen bilden. Ich bekomme die schon mehrere Wochen, kann aber keine Verbesserung feststellen. Schlägt das bei mir nicht an, oder muss ich weiter Geduld haben?
DR. STEINMETZ: Bei einer Behandlung mit Erythropoetin ist es immer sehr wichtig, den Erfolg der Behandlung zu messen und die Therapie darauf abzustimmen. Nach acht, spätestens 12 Wochen einer ausreichend dosierten Behandlung muss das Therapieziel erkennbar sein. Wenn das einzige Ziel Ihrer Behandlung eine Verbesserung Ihrer Leistungsfähigkeit ist, müssen Sie diese selbst bemerken. Sollte Ihr Arzt aber z. B. auch das Ziel verfolgen, eine Bluttransfusion zu vermeiden, dann kann es bereits als Erfolg gewertet werden, wenn der rote Blutfarbstoff unter der Chemotherapie nicht weiter so tief abgefallen ist, dass Sie eine Bluttransfusion benötigen. Wenn innerhalb von acht Wochen keine Verbesserung der Blutbildung erkennbar ist, muss die Behandlung mit Erythropoetin entweder ergänzt werden, z. B. um eine zusätzliche Eisentherapie oder sie sollte beendet werden.
DR. STEINMETZ: Ich bedanke mich für die vielen interessanten Fragen und wünsche Ihnen allen einen angenehmen Abend!
Ende der Sprechstunde.