Darmkrebs – Behandlungsmöglichkeiten in fortgeschrittenem Stadium

Dr. med. Albrecht Kretzschmar         

Oberarzt

Klinikum St. Georg in Leipzig  

und MVZ Mitte in Leipzig

internistische Onkologie und Hämatologie im  Klinikum St. Georg   

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04129 Leipzig

 

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MVZ Mitte; Onkologie und Palliativmedizin

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PROTOKOLL

Darmkrebs – Behandlungsmöglichkeiten in fortgeschrittenem Stadium

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wir beginnen um 19 Uhr.

Martin: Die Belastungen einer medikamentösen Krebsbehandlung nach der Operation sind nach wie vor ganz grausam. Wann geht es dort entscheidend voran? Als Angehöriger (Frau mit Darmkrebs) ist das ein einziges Elend, das mit anzusehen.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich gehe einmal davon aus, dass Sie die adjuvante Chemotherapie nach einer Darmkrebsoperation meinen. Diese Behandlung besteht momentan im Allgemeinen aus sechs Monaten Chemotherapie mit Oxaliplatin und 5-FU. Meistens ist diese Therapie relativ gut verträglich und kann ambulant durchgeführt werden. Inzwischen wurden mehrere große Studien durchgeführt, die überprüfen, ob möglicherweise drei Monate Chemotherapie ausreichend sind. Ein wesentliches Problem der Behandlung mit Oxaliplatin ist die Entwicklung von Kribbeln und Taubheit durch Nervenschädigung. Hier würde durch Verkürzung auf drei Monate sicherlich ein großer Fortschritt erzielt werden. Möglicherweise bezieht sich die Frage jedoch auch auf eine aggressivere Therapieform, wenn tatsächlich Metastasen vorhanden sind und auch noch Medikamente mit stärkeren unerwünschten Wirkungen eingesetzt werden. Dies geht aus der Frage nicht klar hervor.

Gunther_Maass: Vor acht Jahren hatte ich Darmkrebs und das Glück von einem sensationellen Chirurgen in Hamburg Altona operiert worden zu sein, der jetzt nicht mehr aktiv ist. Leider. Inzwischen weiß ich, dass es ganz besonders auf die erste Krebsoperation ankommt und man da einen besonderen Chirurgen haben muss, der auch noch einen besonders guten Tag haben sollte. Bei mir war das so. Und trotzdem bleibt die Angst immer im Hinterkopf. Ich habe auch nach acht Jahren noch nicht wieder mein ursprüngliches Urvertrauen in meinen Körper zurückgewonnen und sehe das als echtes Problem an, denn die Psyche steuert ja viel im Körper. Deshalb ist es mir wichtig, mich immer informiert zu halten. Wie bekomme ich dieses Vertrauen in meinen eigenen Körper wieder?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich kenne natürlich nicht das genaue Stadium Ihrer Erkrankung als Sie vor acht Jahren operiert wurden. Grundsätzlich ist das Risiko eines Rückfalls nach acht Jahren aber als gering einzustufen. Im Allgemeinen wird sogar empfohlen, dass man regelmäßige Kontrolluntersuchungen, um einen möglichken Rückfall frühzeitig zu entdecken, nach fünf Jahren komplett einstellt. Lediglich die Durchführung von Darmspiegelungen, um sich eventuell neu bildende Polypen oder Karzinome zu entdecken, ist auch nach fünf Jahren sinnvoll und wichtig. Einen Rat, wie Sie Vertrauen in Ihren Körper zurückgewinnen, kann ich schlecht abgeben, ohne Sie zu kennen. Das Vertrauen zu dem behandelnden und die Nachsorge durchführenden Onkologen ist sicherlich wichtig. Möglicherweise sind auch Gespräch mit einem Psychoonkologen hilfreich, wenn Sie sich noch bis heute so viel mit Ihrer Erkrankung beschäftigen.

Lore: Bewegung soll die Anzahl von Polypen reduzieren. Stimmt das? Ist das bewiesen?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Dies ist eine sehr interessante und wichtige Frage. Tatsächlich haben viele große Studien belegt, dass das Risiko für Darmkrebs und seine Vorstufen (Polypen) durch körperliche Aktivität gesenkt werden kann. D. h. Bewegungsmangel ist ein Risikofaktor. Da erfreulicherweise Bewegung auch in Bezug auf andere "Volkskrankheiten" einen positiven Einfluss hat, kann hierzu nur jeder ermuntert werden. Zum Glück ist dies inzwischen ja auch relativ bekannt. So werden Bewegungsprogramme ja auch von Krankenkassen gefördert.

Anne-Heinicke: 2014 nach Darmkrebs Chirurgie über Bauchschnitt 12 Mal Folfox. Dann war Ruhe. Aber Anfang dieses Jahres erneut Lebermetastasen. Macht es Sinn noch mal die gleiche Chemotherapie zu machen, die ja nicht lange „gehalten“ hat? Es gibt so viele verschiedene Chemotherapien.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Zunächst einmal muss im Tumorboard (Onkologe, Radiologe, Leberchirurg) festgelegt werden, was das Behandlungsziel ist. Besteht prinzipiell schon jetzt die Möglichkeit, die Lebermetastasen komplett zu operieren, so wäre eine Vorbehandlung tatsächlich mit dem Folfox-Regime das richtige Vorgehen. Muss man davon ausgehen, dass die Metastasen auch nach Rückbildung durch eine Chemotherapie nicht operabel sind, so bieten sich tatsächlich verschiedene Chemotherapieprotokolle an. Insbesondere, wenn noch eine Neuropathie (Kribbeln, Taubheit  durch Nervenschädigung) bis heute besteht, so sollte eher ein Chemoprotokoll ohne Oxaliplatin eingesetzt werden. Ist das Ausmaß der Metastasen so gelagert, dass nach Verkleinerung eine Operation der Reste realistisch ist, so sollte ein möglichst wirksames Chemotherapieprotokoll unter Einbeziehung von monoklonalen Antikörpern eingesetzt werden. Die Wahl der Antikörper ist vom so genannten RAS-Status sowie nach neuesten Erkenntnissen auch vom Ort des Primärtumors abhängig.

Becker6: Nach meiner Darmkrebs-Operation gab es die beruhigenden Aussage R0, also Tumor im gesunden entfernt, aber das war leider nicht alles. So, wie es aussieht, sind mehrere Lymphknoten sowohl am Hals, als auch im Bauch verändert. Aus der großräumigen Verteilung wird klar, dass der Krebs fortgeschritten ist. Ich mache mir da keine Illusionen. Habe aber den Kampf aufgenommen. Was ist mit der auf dem Krebskongress in Berlin hochgelobten Immuntherapie? Wann ist eine Antikörperbehandlung das richtige??

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wenn ich es richtig verstanden habe, so liegen bei Ihnen Lymphknotenmetastasen am Hals vor. Dies bedeutet tatsächlich eine weiter fortgeschrittene Erkrankung mit so genannten Fernmetastasen. Das Muster der Metastasierung ist dabei sehr ungewöhnlich. Möglicherweise sollte man sogar eine Gewebeprobe von den Halslymphknoten nehmen, um sicher zu sein, dass sie tatsächlich zum Darmkrebs gehören. Es kann jedoch auch sein, dass andere Faktoren ganz stark dafür sprechen. Falls nur eine Lymphknotenstation befallen ist, so kann als Einzelfallentscheidung auch erwogen werden, nach Chemo-/Antikörpertherapie zusätzlich eine Bestrahlung der Regionen durchzuführen. Die von Ihnen angesprochene Immuntherapie ist bei der Behandlung von Darmkrebs nur bei einer kleinen seltenen Untergruppe erfolgreich. Lediglich, wenn es bei Darmkrebs mit so genannter Mikrosateliten-Instabilität (MSI) zur Metastasierung gekommen ist, ist eine Immuntherapie mit so genannten PD-1-Antikörpern erfolgversprechend. Für den Löwenanteil der Darmkrebspatienten spielt die Immuntherapie, anders als beim Melanom, Nierenkrebs und einem guten Anteil der Lungenkrebspatienten keine Rolle. Die monoklonalen Antikörper gegen den EGF-Rezeptor (Panitumumab und Cetuximab) sowie gegen VEGF (Bevacizumab) gehören nicht zur Immuntherapie im engeren Sinne. Sie können bei den meisten Darmkrebspatienten eingesetzt werden, sind allerdings bereits seit zehn Jahren zugelassen und im Einsatz.

Lore: Was ist Panitumumab und wie wird es verabreicht?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Panitumumab ist ein monoklonaler Antikörper, der intravenös als Infusion verabreicht wird, gerichtet gegen den EGF-Rezeptor, welcher auf allen Darmkrebszellen vorkommt. Das Medikament darf jedoch nur eingesetzt werden, wenn ein so genannter Biomarker, der mit einer Probe vom Pathologen bestimmt wird, entsprechend ausgefallen ist. Dies ist der so genannte RAS-Status. RAS darf nicht mutiert sein. Im letzten halben Jahr sind darüber hinaus mehrere Studien vorgestellt worden, die dafür sprechen, dass die monoklonalen Antikörper gegen EGF-Rezeptor (Panitumumab und auch Cetuximab) darüber hinaus nicht eingesetzt werden sollen, wenn der Primärtumor im Darm auf der rechten Seite liegt oder gelegen hat, d. h. im Blinddarm, im aufsteigenden Dickdarm oder im Querdarm. Wenn diese Bedingungen alle erfüllt sind, so steigert Panitumumab in Kombination mit Chemotherapie die Wirksamkeit derselben ausgesprochen erfolgreich und sollte jedem Patienten angeboten werden.

W.Thielecke: In unserer Familie hatten meine Oma und mein Onkel bereits Darmkrebs. Ich gehe davon aus, dass meine Kinder und ich sorgfältig Vorsorge machen müssen. Darmspiegelungen ab welchem Alter und in welchem Abstand?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wenn man beide Geschlechter betrachtet, so ist Darmkrebs die häufigste Krebserkrankung in Deutschland. Pro Jahr erkranken etwa 70.000 Menschen neu. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, dass auch ohne erblichen Hintergrund mal mehrere Fälle in einer Familie auftreten. Etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Darmkrebsfälle haben tatsächlich einen erblich bedingten Hintergrund. Man nennt dies eine genetische Prädisposition. Der Verdacht auf eine solche, wird geäußert, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: Drei Betroffene mit Darmkrebs, die untereinader erstgradig miteinander verwandt sind. Insbesondere Erkrankungen unter dem fünfzigsten Lebensjahr lassen an einen genetischen Hintergrund denken. Wenn ich Ihre Aussage richtig verstanden habe, wären bei Ihnen bisher nur zwei Familienmitglieder betroffen. In jedem Falle sollten Sie die Gelegenheit nutzen, einem Arzt, der sich hiermit auskennt, Ihre Familiengeschichte zu schildern. Auch Gebärmutterkrebs und einige andere Krebsarten gehören mit zu diesem Darmkrebssyndrom. Falls der Verdacht auf eine erbliche Krebsform gestellt wird, so kann nach entsprechender genetischer Beratung auch eine genetische Untersuchung durchgeführt werden, die dann offen legt, ob ein Patient tatsächlich das Risiko hat. Die Vorsorgeuntersuchungen im Sinne einer Darmspiegelung sollen in einem Lebensalter beginnen, das zehn Jahre unter dem Alter des ersten betroffenen Familienmitgliedes bei Diagnosestellung liegt. Man weiß inzwischen recht viel über diese erbliche Darmkrebsform (HNPCC). In jedem Falle steht aber als erstes die genaue Erhebung des entsprechenden Stammbaumes und eine gewissenhafte Beratung. Unabhängig hiervon sollten Darmspiegelungen ab dem Alter von 55 Jahren als Vorsorgeuntersuchung durchgeführt werden.

Bente: Bei meinem Bruder wurde vor 3 Wochen Darmkrebs festgestellt, der auch schon gestreut hat. Es geht jetzt um die Therapie nach der bereits vorgenommenen Operation. Dabei ist eine zielgerichtete Therapie im Gespräch, was immer das genau ist. Gibt es wirklich eine Therapie, die den Tumor direkt angreift? Wie heißt die? Er hat nämlich noch andere Erkrankungen (Bluthochdruck, Diabetes, eingeschränkte Nierenfunktion) und wenn jetzt noch etwas derart komplexes, wie eine Chemotherapie dazu kommt, die den ganzen Körper belastet, mache ich mir große Sorgen, wie er das aushalten soll.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wie bereits weiter oben bei anderen Fragen angesprochen, steht vor der Therapieentscheidung zunächst einmal die Festlegung des Therapiezieles. Kann möglicherweise durch eine intensive Therapie mit Verkleinerung von Metastasen eine Situation erreicht werden, wo zusätzlich eine Operation oder Radiofrequenzablation von Lebermetastasen zu einer Kontrolle der Krankheit beitragen kann oder aber liegt ein rein palliativer Therapieansatz vor, d. h. es geht darum, unter Erhalt der Lebensqualität die Erkrankung möglichst lange in Schach zu halten. Eine so genannte zielgerichtete Therapie bezeichnet im Fall von Darmkrebs den Einsatz von monoklonalen Antikörpern, welche zusätzlich zur Chemotherapie gegeben werden. Diese sind gegen einen Botenstoff, welcher Blutgefäßneubildung stimuliert (VEGF) oder aber gegen den EGF-Rezeptor gerichtet. Die EGF-R-Antikörper (Panitumumab und Cetuximab) werden - wie oben aufgeführt - nur unter bestimmten Bedingungen eingesetzt (RAS-Wildtyp und Primärtumor linksseitig), sind dann aber so erfolgreich, dass sie dem VEGF-Antikörper vorzuziehen sind. Auch die zielgerichteten Therapien haben unerwünschte Wirkungen. Das alles muss selbstverständlich auf die Begleiterkrankungen des Patienten und dessen Akzeptanz für unerwünschte Wirkungen abgestimmt werden. Erfreulicherweise gelingt dies uns heutzutage so gut, dass wir doch den größten Teil unserer Patienten über viele Jahre recht erfolgreich und unter Erhalt der Lebensqualität behandeln können.

MODERATOR: Unser Experte macht eine kurze Pause. Wir setzen die Beantwortung Ihrer Fragen in wenigen Minuten fort.

Anja_Ketels: Woran liegt es, dass in einigen Familien Herzinfarkte gehäuft auftreten und in anderen Krebserkrankungen? Ist das schon mal hinterfragt oder erforscht worden? Könnte man über diese Fragestellung auch ganz neue Erkenntnisse für eine erfolgreichere Behandlung herausbekommen?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Über die genetische Prädisposition für Darmkrebs habe ich weiter oben bereits etwas gesagt. Etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Darmkrebsfälle treten familiär gehäuft auf und inzwischen ist gut erforscht, was genau hier am Erbgut verändert ist. Neben der erwähnten HNPCC gibt es noch einige wesentlich seltenere familiäre Darmkrebsformen. Ich muss gestehen, dass mir über den genetischen Hintergrund von gehäuften Herzinfarkten nichts bekannt ist. Das heißt aber nicht, dass es einen solchen nicht auch doch gibt. Erfreulicherweise gibt es sowohl bezüglich Darmkrebs als auch bezüglich Herzinfarkten Risikofaktoren, die man im Gegensatz zum erblichen Hintergrund, beeinflussen kann. Dies sind Bewegungsmangel und Ernährung. Die Behandlung von ausgebrochenen Darmkrebsfällen hat nur geringfügig damit zu tun, ob es sich um erblichen Darmkrebs oder aber - der Löwenanteil der Fälle - um so genannten spotanen Darmkrebs handelt.

KAG: Nach meiner Kenntnis haben Dendritische Zellen die Aufgabe, als Frühwarner auf verschiedene Gefahren hinzuweisen, die sich im Körper abspielen. Wenn man jetzt regelmäßig den Zustand dieser Zellen überprüft, müsste man Krebs bereits in den Anfängen auf die Spur kommen, oder? Ich vermisse zunehmend, dass an der Verhinderung von Krebserkrankungen geforscht wird, oder ist das nur weniger in den Medien? Es würde mir persönlich viel Angst nehmen, wenn ich wüsste, da kümmern sich Forscher genauso intensiv darum Krebs zu verhindern, wie um Behandlungsformen.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Eine gute aber auch sehr schwierige Frage. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch sehr viel über die Grundlagen der Krebsentstehung geforscht wird. Diese Forschung wird natürlich nicht von der Pharmaindustrie finanziert, sondern über so genannte Drittmittel (üblicherweise staatliche Stellen, die Geld nach Begutachtung von Anträgen zur Verfügung stellen). Natürlich hört man in den Medien über die Forschung zu den Ursachen und am besten Beeinflussung dieser Ursachen nur dann etwas wenn es relevante Fortschritte gibt. Leider ist dies nur selten der Fall. Wie bereits in zwei anderen Fragen heute angesprochen, gibt es definitiv ein Thema, welches Einfluss auf Häufigkeit und auch Sterblichkeit von vielen, teilweise auch häufigen, Krebserkrankungen nehmen kann, dies sind beeinflussbare Risikofaktoren: Bewegungsmangel und Ernährung bei Darmkrebs, Rauchen bezüglich Lungenkrebs, aber auch Speiseröhrenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs und auch Blasenkrebs usw. Die von Ihnen angesprochenen dendritischen Zellen haben etwas mit dem Immunsystem zu tun und können tatsächlich bei der Entstehung von Krebs zur Kontrolle beitragen.

Nazzerie: Mein Bruder hat einen Rückfall mit Metastasen bekommen (Darmkrebs), wie hoch ist die Erfolgsquote nach den nächsten Therapieeinheiten?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Diese Frage ist leider ohne Kenntnis der genauen Details nicht zu beantworten. Eine Erstbehandlung von Darmkrebs mit Metastasen führt grob geschätzt bei etwa 70 bis 80 % der behandelten Patienten zunächst zumindest zu einem gewissen Erfolg. Wenn es die zweite Behandlung bei einem erneuten Rückfall betrifft, so sind die Erfolgsaussichten niedriger. In jedem Falle sollte der behandelnde Onkologe oder onkologisch tätige Gastroenterologe natürlich das Behandlungsziel und auch die Erfolgsaussichten offen mit seinem Patienten besprechen.

Todo: Soweit ich weiß kommen die Forscher voran in der Antikörper Forschung, was ja ein wichtiger Ansatz für Krebs ist. Irritierend finde ich die Erkenntnis, dass Antikörper individuell sind, aber bei einem Menschen ein Leben lang gleich bleiben. Was bedeutet das für die Krebstherapie. Dass die bisherigen Ansätze gar nicht erfolgreich sein konnten? Wie will man denn bloß für jeden Menschen ein eigenes Krebsmittel herstellen? Wo führt das hin? Die Erkenntnisse sind wichtig, aber kann man davon überhaupt was in die individuelle Anwendung umsetzen, oder verpufft das Wissen darum, weil das alles gar nicht finanzierbar ist?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Sie bringen bei Ihrer Frage ein paar an sich richtige und wichtige Themen ein bisschen durcheinander. Monoklonale Antikörper sind eine neue Medikamentengeneration, die gezielt gegen eine bestimmte Struktur entwickelt wurden und im Anschluss heute meist humanisiert wurden. Letzteres bedeutet, dass sie so gestaltet sind, dass nahezu jeder Mensch sie verträgt, ohne sie selber wiederum als Fremdeiweiß zu erkennen und zu bekämpfen. Das Ziel des Antikörpers kann z. B. ein Botenstoff, der im Blut vorkommt, sein oder aber eine Struktur, die z. B. auf der Krebszelle vorkommt. Die Möglichkeiten für so genannte monoklonale Antikörper sind sogar noch viel weitreichender. Es gibt auch welche, die ein Medikament in Sekundenschnelle inaktivieren können, wenn dies erforderlich ist. Eine der ersten Antikörpertherapien war der Einsatz von so genannten Antiseren, z. B. gegen Schlangengifte. Hierbei wurden Antikörper von anderen Säugetieren dem betroffenen Patienten gegeben und haben das Gift in Sekundenschnelle inaktiviert. Dass unser Körper dieses Antiserum wiederum selber als fremd erkannte und bekämpfte und zerstörte zeigt, dass wir inzwischen wesentlich weiter vorangekommen sind. Bei  der Entwicklung der gezielten Therapie - in diesem Fall monoklonaler Antikörper - geht es nicht  darum, dass man für jeden Patienten ein eigenes Medikament entwickelt.

Wiwi: Wie lange dauert es bis sich aus oberflächlichen Veränderungen im Darm Darmkrebs entwickelt?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Es gibt zwei wesentliche Typen der Darmkrebsentstehung. Die häufigste nennt man die Adenom-Karzinom-Sequenz. Hierbei durchläuft der Krebs tatsächlich eine Geschichte vom zunächst leicht veränderten Gewebe zu einem so genannten Adenom, schließlich einem entarteten Adenom (häufig in Form eines Polypen) bis zum Karzinom. Als Karzinom bezeichnet man diese entarteten Zellen erst, wenn sie durch die erste Sperrschicht hindurch gewuchert sind. Zwischen der ersten Veränderung der Zellen (Adenom) und einem manifesten Krebsgeschwür von einigen Zentimeter Größe vergehen hierbei typischerweise viele Jahre. Dies ist auch der Grund, warum man sich geeinigt hat, Vorsorgekoloskopien im Abstand von fünf bis zehn Jahren für angemessen zu betrachten. Leider gibt es (wesentlich seltener) auch eine schnellere Entstehungsgeschichte bei bestimmten Darmkrebsformen.

Cabopino: Wir sind den Winter über in unserem Haus in Südspanien. Das war bisher immer sehr schön. Nach einer Krebsoperation (Darm) meiner Frau sind wir nicht mehr so unbeschwert. Zwar gibt es hier nicht weit entfernt ein großes Krankenhaus, dass soll gut sein und im Notfall könnten wir dort sicherlich Untersuchungen machen lassen, aber das ist nicht das Gleiche, weil unser Spanisch kein medizinisches Vokabular enthält. Dennoch die Frage, in wieweit Standards innerhalb der EU gleich sind. Kann meine Frau eine Nachuntersuchung, die jetzt Ende März anliegt auch hier machen lassen, oder sollten wir nach Heidelberg fliegen?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich gehe einmal davon aus, dass Ihre Frau an Darmkrebs operiert wurde und aktuell ohne Nachweis eines Rückfalls lebt. In Deutschland ist es üblich, Nachsorgeuntersuchungen (Gespräch mit dem Patienten, körperliche Untersuchung, Bestimmung von Tumormarkern und ein Ultraschall vom Bauch, ggf. auch Computertomographie) zunächst alle drei Monate durchzuführen. Wahrscheinlich reicht es sogar, wenn man es alle sechs Monate tut. Meine Empfehlung wäre, dass Sie sich von den Ärzten in Deutschland, die Sie gut kennen, einen Plan machen lassen, wann welche Untersuchungen anstehen und diese dann durchaus in Südspanien durchführen lassen. Die Bestimmung der Tumormarker und die bildgebenden Untersuchungen (Ultraschall / Computertomographie) können in jedem Fall standartisiert auch in Spanien erfolgen. Auch ich betreue Patienten in der Nachsorge, die ich jedes Mal im Herbst mit sehr gutem Gewissen für sechs Monate bis zum Frühjahr in den sonnigen Süden verabschiede.

Wolske: Was unterscheidet eine Antikörpertherapie von einer Immuntherapie?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Eine gute Frage, die sich gerade in den letzten zwei Jahren, seit das Thema Immuntherapie so präsent geworden ist, immer wieder stellt. Bis vor Kurzem wurde der Begriff Immuntherapie praktisch für jeden Einsatz von monoklonalen Antikörpern verwendet. Wie weiter oben ausgeführt, hat jeder monoklonale Antikörper zu erst einmal etwas mit dem Immunsystem zu tun. Das Immunsystem eines Menschen oder aber z. B. von einer Maus bekommt eine Struktur präsentiert (ein Gift, eine Oberflächenstruktur einer Krebszelle oder ein Botenstoff im Blut) und bildet dann gezielt genau hier gegen den Antikörper. Der Antikörper ist ein riesengroßes kompliziertes Eiweißmolekül, was genau diese Struktur erkennt und z. B. wegfängt oder blockiert. Wir haben den Begriff Immuntherapie für die Antikörper jetzt jedoch verlassen und verwenden den konkreten Begriff Antikörpertherapie, da wir jetzt unter Immuntherapie etwas anderes verstehen. Die Immuntherapie in diesem engeren Sinne ist eine Therapie, die Einfluss nimmt auf die Antwort des Immunsystems eines Patienten gegen z. B. eine Krebserkrankung. Unser Immunsystem ist sehr ausgeklügelt und kompliziert. Idealerweise erkennt das Immunsystem alles, was schädlich ist als fremd und zu bekämpfend und macht seinen Job. Leider kann es passieren, dass es dabei auch mal etwas erkennt, was eben zu uns gehört und nicht bekämpft werden sollte. Dann liegt eine Autoimmunerkrankung vor. Hier hat das Immunsystem zu aggressiv und zu gut erkannt. Dies zeigt uns, dass es durchaus schlau ist, dass es in unserem Immunsystem auch hemmende Einflüsse gibt. Die Immuntherapie, von der in den letzten ein bis zwei Jahren so viel Positives bei der Krebsbehandlung berichtet wird, funktioniert folgendermaßen: Die hemmenden Strukturen werden blockiert und somit werden den T-Lymphozyten sozusagen die Augen geöffnet. Es gibt hemmende Strukturen zwischen den T-Lymphozyten und den dendritischen Zellen, aber auch zwischen Tumorzellen und dendritischen Zellen, oder aber Tumorzellen und T-Lymphozyten. Die Immuntherapie im engeren Sinne handelt von der Blockierung dieser hemmenden Signale. Besonders kompliziert und verwirrend wird das Ganze dadurch, dass die Medikamente, die wir bei der Immuntherapie verwenden, selbst wiederum monoklonale Antikörper sind.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich danke allen Teilnehmern der heutigen Sprechstunde für die vielen interessanten Fragen und die rege Teilnahme. Zum Abschluss wünsche ich Ihnen allen einen angenehmen Abend.



Ende der Sprechstunde.