Krebs: Fortschritte bei Krebs

Prof. Dr. Christof von Kalle
Translationale Onkologie (G100)
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 460
69120 Heidelberg

Tel: +49 6221 42 1608

www.dkfz.de

PROTOKOLL

Krebs: Fortschritte bei Krebs

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Wir beginnen um 19.00 Uhr.

ADrexler: Die Digitalisierung bietet der Medizin fantastische Möglichkeiten, ersetzt aber nicht die persönliche Zuwendung. Ich befürchte, dass die künftig komplett auf der Strecke bleibt. Ist das überhaupt noch Teil der Überlegungen von Wissenschaftlern?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Im Gegenteil. Die Hoffnung wäre, dass die Digitalisierung den Arbeitsaufwand für die Suche und Zusammenstellung der nötigen Informationen für Ärzte und Pflegepersonal reduziert, so dass mehr Zeit für die direkte persönliche Interaktion mit den Patienten zur Verfügung steht.

CH-Drenkhahn: Warum hat die Immuntherapie weniger Nebenwirkungen, als Chemotherapien?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Immuntherapien funktionieren auf der Basis anderer Prinzipien als Chemotherapien und haben insofern häufig andere Nebenwirkungen, als Chemotherapien. Nicht immer sind diese Nebenwirkungen seltener oder weniger intensiv. Mit anderen Worten, auch Immuntherapie kann intensive Nebenwirkungen haben. Diese sehen häufig ähnlich wie Autoimmunerkrankungen aus, entsprechen also zu starken oder fehlgeleiteten Aktivitäten des Immunsystems, z.B. an Darm, Leber oder Haut.

Peter.Guenther: Wie kann man Ergebnisse einer individualisierten Krebsimmuntherapie statistisch erfassen, um die Effizienz zu bestimmen? Durch unterschiedliche Kombination verschiedener Wirkprinzipien erscheint es mir kaum möglich, eine Vergleichbarkeit herzustellen, oder gibt es dafür digitale Programme?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Der Erfolg von Therapien gegen Krebs wird unabhängig von der Art der Therapie meist auf gleiche Weise gemessen. Man schaut zum einen die Auswirkungen auf die Größe oder Zahl von Tumoren, Metastasen oder Zellen im Blut an, man misst die Zeit bis zum Wiederauftreten von Krankheitszeichen und letztendlich auch das Überleben der behandelten Patienten. In der näheren Zukunft wird die Erfassung von Gesundheitsdaten der Patienten in digitalen Systemen uns hoffentlich besonders im Bereich der Erfassung von Therapieerfolgen im wirklichen Leben, der sogen. real world evidence zu größerer Genauigkeit verhelfen.

Seidensticker: Wenn mir mein behandelnder Onkologe nach einer erfolgreichen Chemotherapie mitteilt, Ihre Aussicht auf Heilung ist sehr gut. Wie definieren Ärzte den Begriff Heilung? Bin ich mit allem durch, dauerhaft, eine begrenzte Zeit?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Ihr Arzt sagt Ihnen mit dieser Aussage, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung nie wieder auftritt sehr gut sei. Heilung definieren Ärzte normalerweise als die vollständige Überwindung der Krankheit. Ein Rückgang der Tumorerkrankung auf ein nicht nachweisbares Maß wird oft auch als Remission bezeichnet. Natürlich kann immer ein Restrisiko verbleiben, dass die Krankheit wieder auftritt, dieses wird aber umso unwahrscheinlicher, je länger die Remission andauert.

Rue: Ich hatte Darmkrebs, bin operiert, aber die Angst vor einem Wiederkehren der Erkrankung ist wie ein Film, der immer im Hinterkopf abläuft. Deshalb verfolge ich die unterschiedlichen Forschungsansätze intensiv. Dabei habe ich die Checkpoint-Hemmer im Visier – anstatt Körperzellen vergiften, gesunde Zellen stärken. Mit wie viel Hoffnung darf man als Patient diese Forschung begleiten? Wie ist die Zeitschiene bis dieser Ansatz bei mir ankommt.

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Zunächst freue ich mich mit Ihnen, dass Ihre Erkrankung erfolgreich behandelt worden ist. Das ist für die Mehrheit der Patienten mit Darmkrebs tatsächlich auch dauerhaft der Fall. Die Checkpoint-Inhibitoren sind, wie auch andere Formen der Immuntherapie, eine neu hinzugekommene Therapiemöglichkeit, die sich im Moment rasch weiterentwickelt und für viele Patienten mit Tumorausbreitung (Metastasen) neue Hoffnung birgt. Beim Colonkrebs sind sie heute bereits für eine spezielle Untergruppe der Erkrankung wirksam, die etwa 5-10% aller Patienten betrifft. Insofern dürfen Sie die Entwicklung sehr gern mit Daumendrücken für Ihre Mitpatienten begleiten. Am wahrscheinlichsten ist es jedoch, dass Sie diese Therapie selbst nicht benötigen.

jill: Was ist ein tumoragnostischer Krebs?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Zunächst wird der Begriff tumoragnostisch vor allem für Therapien verwendet, die unabhängig von der Art und Lokalisation des Tumors funktionieren. Also z.B. bestimmte Formen der Immuntherapie oder bei Therapien, die ein molekulares Phänomen betreffen, das bei unterschiedlichen Krebsarten auftreten kann. Mit einem ähnlichen Begriff könnten auch Krebsformen gemeint sein, die sich nicht auf einen bestimmten Ursprungsort zurückführen lassen. Bei diesen sogenannten CUP-Tumoren (cancer of unknown primary) ist der Ausgangspunkt der Krebserkrankung entweder zu klein oder vom Körper bereits erfolgreich eliminiert worden, so dass sich der Ausgangspunkt der Erkrankung nicht nachweisen lässt.

Ehrhard_Berger: Wie bekommt man den Körper wieder in Angriffsmodus gegen Krebszellen?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Wir haben insbesondere in den vergangenen Jahren gelernt, dass die Tumorabwehr durch das Immunsystem bei viel mehr Patienten eine Rolle spielt, als das ursprünglich angenommen worden war. Diese Tumorabwehr kann man durch Immuntherapien wie z.B. Checkpoint-Inhibitoren stärken. Dies funktioniert aber nur bei bestimmten Tumorformen, insbesondere dann, wenn die Tumorzellen eine große Anzahl an genetischen Defekten aufweisen, wie das z.B. bei Haut- und bei Lungenkrebs der Fall ist. In anderen Fällen können Veränderungen des Immunsystems durch den Arzt durchgeführt werden, z.B. durch den Einsatz von Antikörpern, oder in selteneren Fällen durch die Infusion von genetisch modifizierten Immunzellen, d.h. Immunantworten werden dem Körper des Patienten zusätzlich hinzugefügt.

K_Bielle: Ich soll jetzt weitermachen mit der Immuntherapie. Dazu habe ich einiges gehört und noch mehr gelesen. Am interessantesten fand ich, was mein behandelnder Arzt vergangene Woche zu mir gesagt hat. Es geht darum, die Tarntricks von Tumoren auszuhebeln. Der menschliche Körper ist ja auf Überleben programmiert. Deshalb verstehe ich nicht, wieso der Körper den Krebszellen eine solche Tarnung zugesteht und diese Zellen nicht gleich vernichtet. Gibt es dafür eine wissenschaftliche Erklärung?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Die Tumorzellen eines Krebspatienten sind aus körpereigenen Zellen entstanden und werden zunächst vom Immunsystem nicht als fremd erkannt. Zusätzlich aktivieren manche Tumorzellen körpereigene Programme, die das eigene Gewebe vor dem Zugriff des Immunsystems schützen sollen. Seit man diese erkannt hat, kann man mit Hilfe von sogenannten Checkpoint-Inhibitoren diese Tarnung ein Stück weit zur Seite ziehen, so dass die eigentlich beim Patienten vorhandene Immunantwort dann auch tatsächlich gegen die Tumorzellen wirken kann. Der Körper geht bei der Immunabwehr gegen Tumore sehr gründlich vor und entwickelt oft Immunantworten auch gegen kleine und kleinste Veränderungen der eigenen Zellen.

Madanian: In unserer - erweiterten - Familie ist auffällig, dass es immer wieder Fälle von Lymphdrüsenkrebs gibt. Vor diesen Hintergrund interessiere ich mich besonders für die aktuelle Forschung. Welche Rolle spielt die Tumorzytogenetik in der Forschung?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Die Tumorzytogenetik und insbesondere die Tumorgenetik spielt in den vergangenen Jahren eine zunehmend immer größer werdende Rolle bei der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen. Alle uns bekannten Krebserkrankungen weisen kleinere oder größere genetische Veränderungen gegenüber dem Normalgewebe auf, und man lernt in zunehmendem Maße, welche dieser Veränderungen für die Steuerung des Wachstums der Zellen eine besondere Bedeutung haben. Auch die Familiengeschichte von Krebserkrankungen kann hier diagnostisch wichtig sein, weil bei 5-15% aller Krebserkrankungen nach unserem heutigen Verständnis eine stärkere erbliche Komponente besteht. Sie sollten mit Ihrem Arzt besprechen, ob die Häufung solcher Erkrankungen in Ihrer Familie eine Beratung in einer humangenetischen Sprechstunde für familiäre Krebserkrankungen nach sich ziehen sollte.

Ella_Junge: Kann Prof. von Kalle einschätzen, wann das Gesundheitssystem an die Grenze der Finanzierbarkeit kommt? Am Ende haben wir tolle medikamentöse Lösungen, aber die Patienten haben nichts mehr davon, weil die Kosten das Budget unseres Gesundheitssystems sprengen. Wie ist die Einschätzung des Experten, könnte das passieren?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Die Krebserkrankung betrifft im Laufe unseres Lebens jeden Zweiten von uns und etwas jeder Vierte stirbt an Krebs. Demgegenüber wenden wir z.Z. nur etwa ein Fünfzehntel unserer Gesundheitsinvestitionen in Deutschland gegen Krebs auf (6%). Die neueren Onkologie Medikamente z.B. machen nur etwa 1% unserer gesamten Gesundheitsaufwendungen aus. D.h. wir tun im Moment eher zu wenig gegen Krebs. Selbst wenn sich diese Zahl in kürzester Zeit verdoppeln sollte, stellt dies das Gesundheitssystem keinesfalls vor unlösbare Probleme.

Mary_Abdi: Ist es möglich, mehrere Krebs-Rezeptoren gleichzeitig anzugreifen und damit den Erfolg der Behandlung entscheidend zu steigern?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Im Prinzip ist es tatsächlich möglich, mehrere Wirkmechanismen in einer Therapie gleichzeitig oder in kurzer zeitlicher Abfolge anzuwenden. Dabei ist die entscheidende Einschränkung, dass sich Nebenwirkungen verschiedener Medikament addieren, oder im ungünstigsten Falle sogar multiplizieren können. D.H. solche Kombinationstherapien brauchen sehr sorgfältige Vorbereitung und klinische Studien für ihre Entwicklung.

Ender_Kaya: Sind Chromosomenanomalien ein Hinweis auf die Vererbung von bestimmten Krebsarten? Ich denke dabei an die Blut-Krebse.

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: In aller Regel sind die sichtbaren Chromosomenveränderungen auf die Krebszellen beschränkt. In selteneren Fällen können einzelne Chromosomenveränderungen auch familiär vererbt sein. Unter dem Mikroskop nicht sichtbare Veränderungen am genetischen Code sind bei etwa 5-15% aller Krebspatienten nachweisbar. Bei Krebs im Kindesalter können solche Komponenten noch häufiger sein.

K.Klos: Die große Hoffnung für Patienten sind die T-Zellen – aber: keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Was sind die Nachteile veränderter T-Zellen, die eigentlich nur Gutes bewirken sollen?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Die von Ihnen angesprochene CAR-T-Zelltherapie kann insbesondere bei Blut- und Lymphkrebs von B-Zellen bei einer Mehrzahl der Patienten längerfristige Remissionen, hoffentlich sogar Heilungen bewirken. Nachteile dieser Therapien können zum einen durch die rasche Immunantwort entstehende akute Nebenwirkungen sein, die so intensiv sind, dass die Patienten intensivstationspflichtig werden. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass diese Zellen genau eine einzige Immuneigenschaft angreifen und daher manchmal ein Therapieversagen auftritt, wenn die Krebszellen diese Immuneigenschaft verlieren. Aber insgesamt sind diese Therapien für viele der betroffenen Patienten von enormem Vorteil.

Jockel_Laudahn: Wie weit ist die Forschung bei der individualisierten Therapie? Wie fein oder präzise ist die Individualisierung inzwischen?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Mit individualisierter Krebstherapie wird zunächst die Möglichkeit beschrieben, durch eine sehr genaue molekulare Diagnostik herauszufinden, ob für die betroffenen Patienten auf die genauen molekularen Veränderungen ihrer individuellen Tumorerkrankung zugeschnittene Medikamente verfügbar sind. Dies hat dazu geführt, dass wir viele der häufigeren Krebserkrankungen heute in kleinere Untergruppen einteilen können, die hoffentlich besser therapierbar sind. Auch können solche Untersuchungen Patienten identifizieren, die mit guter Wahrscheinlichkeit von einer Immuntherapie profitieren. Leider gibt es diese Möglichkeit aber noch nicht bei allen Tumorarten, weil die biologischen Ursachen der verschiedenen Krebsarten unterschiedlich sind und auch unterschiedlich gut verstanden werden.

Kathy_Klein: Was bringen krankenhausübergreifende Tumorkonferenzen dem Patienten?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Die meisten Tumortherapien sind heute zum einen interdisziplinär, d.h. sie erfordern die Mitwirkung verschiedener Fachdisziplinen. Zum anderen können Tumorerkrankungen an über 200 verschiedenen Geweben des Körpers in sehr unterschiedlicher Form auftreten, so dass kein einzelner Arzt Experte für alle Probleme sein kann. Daher ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein zwischen verschiedenen Experten abgestimmtes Therapiekonzept für Patienten Vorteile bietet.

Pina:Salanti: In welche Richtung geht diese Krebsforschung als Schnittstelle zwischen Onkologie, Pathologie und Humangenetik? Wie behalten die Forscher den Überblick bei der Gewichtung der jeweiligen Forschung?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Die Behandlung einer Krebserkrankung setzt zunächst immer eine sehr genaue Diagnose voraus, die bei Erstdiagnose praktisch immer Entnahme von Krebsgewebe bedeutet. Die genaue pathologische und genetische Untersuchung dieses Materials informiert dann die onkologische Therapieentscheidung hinsichtlich chirurgischer, strahlentherapeutischer und/oder medikamentöser Verfahren. Die Forschung an solchen Krebsformen ist in der Regel auf bestimmte Erkrankungen oder sogar nur bestimmte molekulare Mechanismen spezialisiert, so dass die Experten, die in diesem Bereich bekannt werdenden Erkenntnisse weltweit mit Hilfe des Internets und über internationale Fachkonferenzen im Überblick behalten.

J-Alvi: Herr Prof. von Kalle, wo erwarten Sie mittelfristig mehr Forschungserfolge in der Tumorgenetik oder in der Immuntherapie?

Prof. Dr. med. Christof von Kalle: Ich erhoffe mir Erfolge in beiden Bereichen und insbesondere auch aus ihrer Kombination. Insofern ist eine gemeinsame Betrachtung von beiden Bereichen sinnvoll.



Ende der Sprechstunde.