Organtransplantation - Spenderorgane in Gefahr durch Nachahmermedikamente?

Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf UKE
Prof. Dr. med. Friedrich Thaiss
Ltd. Oberarzt
Zentrum Innere Medizin, 3. Med. Klinik und Transplantations-Center
Martinistr. 52
20246  Hamburg

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thaiss@uke.uni-hamburg.de
www.uke.uni-hamburg.de


Schwerpunkte

• Nephrologie
• Transplantations-Nephrologie
• Dialyse
• Organspende
• Lebend-Nierentransplantation
• ABO-inkompatible Nierentransplantation
• Transplantation bei hochsensibilisierten Empfängern
• kombinierte Organtransplantationen (Pankreas-Niere, Leber-Niere, Herz-Niere)
• Immunsuppressive Therapie
• Immunologie
• Nierenbiopsie
• Autoimmun-, Systemerkrankungen mit Nierenbeteiligung

PROTOKOLL

Organtransplantation - Spenderorgane in Gefahr durch Nachahmermedikamente?

Keros : Seit gut 4 Jahren Leberspende durch Bruder, bin sehr dankbar aber leider trotzdem Gefahr von Abstoßung. Gut eingestellt mit Sandimmun. Habe große Sorge, vor möglicher Umstellung. Noch ist Ruhe, aber ich bin sehr beunruhigt. Soll ich das von mir aus ansprechen?

PROF. THAISS: Ich würde dem betroffenen Patienten empfehlen, von sich aus das Thema des Generikums nicht anzusprechen, sondern abzuwarten, bis von Seiten des ihn betreuenden Nephrologen des Transplantationszentrums eine Anfrage kommt, die Therapie umzustellen. Ich von meiner Seite aus würde aber nicht damit rechnen, dass von Seiten des Therapiezentrums eine Anfrage zur Therapieumstellung kommt. Was der Patient aber beachten und bedenken sollte, ist, dass er darauf achtet, dass auf jedem Rezept, das ab sofort ausgestellt wird, "aut idem" angekreuzt oder durchgestrichen ist. Weil das Ankreuzen oder Durchstreichen von aut idem auf dem Rezept bedeutet, dass der betreuende Nephrologe ausschließlich das notierte Medikament verabreichen möchte und eben keine Alternative zulassen möchte.

Schlott : Es hat 9 Monate gedauert bis ich wirklich stabile Werte hatte. Die habe ich jetzt nahezu durchgehend seit 6 Jahren. Eine Umstellung auf ein Generikum kommt für mich unter keinen Umständen in Frage. Gar nicht. Welche Rechte habe ich?

PROF. THAISS: Im Prinzip ist von den Gesetzlichen Krankenkassen Spitzenverbänden und dem Deutschen Apothekerverband eine Neufassung des Rahmenvertrages zur Arzneimittelversorgung festgelegt worden und diese Spitzenverbände haben im Prinzip festgelegt, dass Ciclosporin A auch gegen Generika ausgetauscht werden kann. Es gibt allerdings sowohl von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Nephrologie als auch von der Deutschen Transplantationsgesellschaft ausführliche Stellungnahmen, dass die augenblicklich zugelassenen Ciclosporin-Generika nicht identisch sind mit dem Sandimmun Optoral. Auf diesen Unterschied kann sich der Patient dann auch berufen und erklären, warum er an der der jetzt eingeführten Therapie mit Sandimmun Optoral auch festhalten möchte.

Gerulat : Ich kenne mich bei Psychopharmaka ein wenig aus: In der Psychiatrie gibt es gut dokumentierte Fälle, in denen sich der Gesundheitszustand eines depressiven Patienten nach dem Umstieg von einem Originalantidepressivum zu einem preisgünstigeren Nachahmerpräparat stark verschlechtert hat. Es handelt sich um verschiedene Medikamentengruppen und um zahlreiche unterschiedliche Fälle. Aus diesem Grund ist man in der Psychiatrie besonders zurückhaltend, einen medikamentös gut eingestellten Patienten auf ein Generikum umzustellen. Wieso wird diese Haltung bei organtransplantierten Patienten nicht ebenso nachdrücklich eingehalten? Ich gehe davon aus, dass es für meinen Vater kritisch werden könnte, wegen einer möglichen Abstoßung mit Verlust seiner Niere, wenn das Nachahmerpräparat nicht so gut wirkt, wie das bisherige Originalpräparat. Das ist möglicherweise lebensgefährlich für den Patienten! Und im Falle einer Abstoßungsreaktion natürlich auch finanziell viel, viel teurer für die Allgemeinheit, als das Originalmedikament weiter zu bezahlen.

PROF. THAISS: Die Anfrage trifft genau den wunden Punkt der Diskussion in der Umstellung der Ciclosporin-Präparate. Im Prinzip muss man ganz klar sagen, dass das Ciclosporin, wie es 1983 in Deutschland auf dem Markt eingeführt wurde und wie es im Prinzip jetzt bei den Generika als Nachfolgepräparat angeboten wird, 1994 weiter entwickelt wurde in das Sandimmun Optoral, d. h. unter pharmakologischen und pharmakodynamischen Aspekten kann man die Ciclosporin-Präparate nicht mit dem Sandimmun Optoral vergleichen. Daher muss man bei einer erwogenen Therapieumstellung bedenken, dass sowohl die Ciclosporin-Spiegel als auch die Interaktion mit anderen Medikamenten erheblich variieren können. Es ist davon auszugehen, dass bei Einstellung auf ein Generikum höhere Dosen appliziert werden müssen als mit Sandimmun Optoral. Diese höhere Dosierung macht den Preisvorteil des Generikums zum Teil wieder zunichte.

Simi : Sind diese nachgemachten Medikamente wirklich genau gleich wie die Originale?

PROF. THAISS: Die Generika sind nicht zu vergleichen mit dem Sandimmun Optoral, da das Sandimmun Optoral als Mikroemulsion 1994 neu eingeführt wurde, d. h. eine Weiterentwicklung des ursprünglich eingeführten Ciclosporin A darstellt und diese Mikroemulsion gewährleistet eine regelmäßigere oder gleichmäßigere Resorption aus dem Magen-Darm-Trackt und eine geringere Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme. Damit sind die erzielten Wirkspiegel im Blut und der Tagesrhythmus des Medikaments gleichmäßig verteilt. Daraus resultiert auch eine geringere intraindividuelle Variabilität des Medikamentenspiegels. Diese kritische Grenze des Ciclosporin-Spiegels ist wichtig, um eine gute Langzeitfunktion des Transplantates zu gewährleisten, da auf der einen Seite zu niedrige Spiegel ein hohes Risiko für eine Transplantat-Abstoßungsreaktion bedeuten, andererseits zu hohe Spiegel wegen der Nephrotoxizität durch Ciclosporin (Nierenschädigung durch Ciclosporin) begünstigen und damit auch zum Transplantatverlust beitragen.

Rebecca : Generika ist ein Reizwort geworden. Woher kommt der Begriff? Generieren, erzeugen…?? Aber woher rührt die negative Besetzung des Begriffs?

PROF. THAISS: Generika ist der Überbegriff über eine pharmakologische Substanzgruppe, die ähnliche Wirkungsprofile zeigen. Der Begriff ist an sich nicht negativ besetzt. Für die besonderen Belange in der Transplantationsmedizin muss allerdings abgewogen werden, dass zwischen den Generika und den Originalpräparaten erhebliche pharmakologische Differenzen bestehen können.

anonym : Statt ursofalk erhielt ich UDC AL Hartkapseln. Ist das identisch? Der Apotheker der Reichenbachapotheke in München drängelt sich mir auf und will mir meine Medikamente schicken. Ich habe aber Bedenken, da er von Prograf Reimporte verwendet. Vielen Dank, mit freundlichen Grüßen Regina Nüßgen (transplantiert in Berlin am 1. 1. 1996)

PROF. THAISS: Bei dem Ursofalk handelt es sich nicht um ein Immunsuppressivum. Prograf gehört, wie das Ciclosporin, in die Gruppe der Calzineurin-Inhibitoren, das Prograf ist im Augenblick noch nicht als Generikum erhältlich. Daher ist auch in Reimporte die Originalsubstanz enthalten.

Francke : Werden auch Studien gemacht bevor so ein nachgemachtes Medikament auf den Markt kommt? Genauso viele? Gibt es Entwicklungsstadien (Phase I, II III)?

PROF. THAISS: Studien zu den Generika werden auch durchgeführt, bevor die Medikamente auf den Markt kommen. Allerdings sind diese Studien nicht so umfangreich wie bei Erstzulassungen des Medikamentes und diese Studien betreffen häufig nicht die möglichen Interaktionen mit weiteren Präparaten. Aus einer Reihe von Studien weiß man, dass die Generika nicht vergleichbar sind mit Sandimmun Optoral und daher auch die Interaktionen mit weiteren zur immunsuppressiven Therapie eingesetzten Medikamenten weniger genau untersucht sind. Die Generika sind nur in kleineren Fallzahl-Studien untersucht.

Arens : sicherlich würde es helfen bestimmte Zusammenhänge zu verstehen, wenn man mehr inhaltliche Deaitls hätte. Deshalb habe ich folgende Frage.Wie funktioniert die Produktion von Generika? Ist da dann auch Urheberschutz oder wie man das nennt?

PROF. THAISS: Die Produktion oder Synthese von Generika wird dadurch ermöglicht, dass der Patentschutz (Urheberschutz) der Originalsubstanz abgelaufen ist. Die Generika werden nach strengen Kriterien von der Pharmaindustrie synthetisiert und vertrieben, allerdings ist, wie bereits mehrfach erwähnt heute, die Pharmakodynamik und Pharmakokinetik dieser Substanzen nicht identisch mit dem Originalpräparat.

Kalli Böck : Wie werden nachgemachte Billigpräparate eigentlich hergestellt? Wenn der Patentschutz ausgelaufen ist, produziert eine andere Firma dann einfach drauf los? Brauch man da keine Lizenz?

PROF. THAISS: Die Generika werden von lizensierten Pharmaherstellern synthetisiert und produziert und sind in ihrem Wirkprofil ähnlich oder vergleichbar der Originalsubstanz.

blacky : Seit 3 Jahren bin ich mit prograf und myfortic gut eingestellt. Mein Spiegel ist relativ stabil und wurde langsam herunter gefahren. Zielspiegel ist z.Zt. 5. Frage: Gibt es für prograf und myfortic Generika? Wenn ja,wie heißen die Medikamente und wie wäre die Nebenwirkung auf meinen prograf-spiegel?

PROF. THAISS: Es gibt im Augenblick weder zu Prograf noch zu Myfortic Generika, so dass bei der Rezeptur dieser beiden Medikamente keine Alternativpräparate zur Verfügung stehen.

blacky : Ist z.Zt. gewährleistet, daß Krankenkassen ohne Probleme Original-Medikamente bezahlen?

PROF. THAISS: Aufgrund der Entscheidung der GKV-Spitzenverbände und des Deutschen Apothekerverbandes könnten unter Umständen Rückfragen zur Rezeptur der Originalmedikamente anstehen. Bislang gibt es nach meinem Kenntnisstand allerdings noch keine Regressforderungen gegen die betreuenden Nephrologen. Bei Rückfragen durch die Krankenkassen sollte man die Argumentation bezüglich des unterschiedlichen pharmakologischen Verhaltens von Sandimmun Optoral und der Ciclosporin-Generika vertiefen und mit den Vertretern der Krankenkassen eingehender diskutieren.

Eksi : Macht es einen Unterschied ob man gesetzlich oder privat versichert ist? Nicht dass wir noch etwas ändern könnten, denn mich nimmt ja keine Versicherung mehr. Kann der Experte darauf evtl. eine Antwort geben?

PROF. THAISS: Nach meiner Information macht es keinen Unterschied, welcher Krankenkasse man angehört. Bei der Rezeptur auf einem Rezeptblock für die gesetzliche Krankenkasse sollte der Patient allerdings darauf achten, dass "aut idem" angekreuzt oder durchgestrichen ist, um sicherzustellen, dass kein Austausch des bewährten und gewohnten Immunsuppressivum erfolgt.

Grass : Meine Frau hat einen Teil ihrer Leber unserer Tochter zur Verfügung gestellt. Das war für beide eine große Operation. Anders als immer behauptet wird, ist das Risko erheblich für den Spender. Unter keinen Umständen wird diese erfolgreiche Spende riskiert. Ich lasse das nicht zu und habe mich bereits mit einem Medizinrechtler in Verbindung gesetzt. Aber offenbar ist die Situation juristisch nicht wirklich klar. Was sagt der Experte dazu?

PROF. THAISS: Die juristische Situation ist durch die Stellungnahme der GKV-Spitzenverbände und des Deutschen Apothekerverbandes im Prinzip geklärt, allerdings sollte bei Regressforderungen mit den Kassen im Einzelfall geklärt werden, ob eine Umstellung der immunsuppressiven Therapie auf ein Generikum angesichts der individuellen Situation des transplantierten Patienten sinnvoll ist oder ob durch die geplante Umstellung das Risiko für den Erhalt der Organfunktion nicht deutlich zunimmt. Im besonderen Fall der hier geschilderten Lebertransplantation bleibt zu bedenken, dass durch eine Therapieumstellung möglicherweise eine zusätzlich Nierenfunktionsschädigung eintreten könnte, die durch die Calzineurin-Hemmer Toxizität verursacht werden kann, wenn die Ciclosporin-Spiegel nach der Therapieumstellung auf das Generikum deutlichen Schwankungen unterliegen sollten.

funkelstern : Ist die Reaktion auf eine Medikamentenumstellung auf ein preiswerteres Nachahmerprodukt unterschiedlich und abhängig von der Art des Spenderorgans? Niere, Herz, Leber? Lebe bei sehr guter Lebensqualität seit 11 Jahren mit 2. Herz. Habe seither 6 (!) Enkelkinder bekommen. Das Leben ist schön! Es soll bitte so bleiben für mich.

PROF. THAISS: Im Prinzip gibt es keine Unterschiede, welche Organe transplantiert wurden. Allerdings sollten bei den lebensnotwendigen Organen, wie Herz und Leber, noch höhere Vorsichtsmaßnahmen erfolgen als nach Nierentransplantation, da die Organfunktion nicht durch eine extrakorporale Behandlung, wie die Dialyse, ersetzt werden kann.

anonym : Bei welchen Organen treten Abstoßungsreaktionen am häufigsten auf?

PROF. THAISS: Abstoßungsreaktionen treten am häufigsten nach Herz- und Lungentransplantation auf, in der Häufigkeit gefolgt von Nieren- und Pankreas-Transplantationen. Die Häufigkeit der Abstoßungsreaktionen nach Lebertransplantation ist am geringsten.

anonym : Ich warte seit 3 Jahren auf eine Niere. Noch gehe ich 3 mal die Woche zur Dialyse. Mein ganz großes Ziel ist ein Spenderorgan. Aber jetzt bin ich total verunsichert, weil ich mich frage, ob es einen Unterschied macht, wenn es dann endlich so weit ist und ich dann so ein preiswertes Medikament bekomme, um die Abstoßung zu verhindern. Was ist, wenn ich das Spenderorgan dann wieder verliere. Wie soll ich je beweisen, dass das dann damit zusammenhängt? Ich komme gar nicht mehr zur Ruhe, weil plötzlich mein großes Ziel eine unsichere Perspektive ist.

PROF. THAISS: Sie können sich zunächst einmal ganz auf die Empfehlungen Ihres Transplantationszentrums verlassen, da das Tranplantationszentrum zum Zeitpunkt der Transplantation die für Sie optimale Therapie auswählt. Ob dann im weiteren Verlauf eine Umstellung auf Generika erfolgen kann, wird man sicherlich auch vom Verlauf der Transplantation abhängig machen. Möglicherweise wird die immunsuppressive Therapie in der noch verbleibenden Wartezeit bis zur Transplantation erheblich weiter modifiziert und geändert.

Hahn2 : Ich lese öfter den Begriff autidem in Berichterstattung und das wird jetzt häufig auch in mit Verschreibungen genannt, aber das wird nicht erklärt. Ich habe das jetzt auch auf einem rezept gesehen. Was genau heißt das?

PROF. THAISS: Der Begriff "aut idem" bedeutet, dass der Apotheker nach Erhalt des Rezeptes die Medikamente aus einer Substanzklasse, allerdings von verschiedenen Herstellern, frei auswählen kann. Für die Immunsuppressiva bedeutet dies allerdings, dass auch dann, wenn man sich für die Einnahme eines Ciclosporin-Generikums entschieden hat, ein Austausch der verschiedenen Generika nicht möglich ist. Konkret würde dies bedeuten, dass bei Einnahme eines Generikums aut idem auch angekreuzt wird, um sicherzustellen, dass bei der nachfolgenden Rezeptur kein anderes Ciclosporin-Generikum weitergereicht wird. Auch die Generika unterscheiden sich erheblich in ihrer Pharmakodynamik untereinander und nicht nur im Vergleich zum Original-Präparat.

MODERATOR: Der Experte macht eine kurze Pause. Die Beantwortung Ihrer Fragen wird in wenigen Minuten fortgesetzt.

anonym : Gibt es zuverlässige Erkenntnisse über Nebenwirkungen und die Unterschiede zwischen dem Originalpräparat und dem jeweiligen Generikum?

PROF. THAISS: Bezüglich der Nebenwirkungen muss festgehalten werden, dass die Generika deutliche Unterschiede im Resorptionsverhalten und in der Bioverfügbarkeit im Vergleich zum Sandimmun Optoral aufzeigen. Die Mehrzahl der bislang vorliegenden klinischen Studien sind alle mit Sandimmun Optoral durchgeführt. Daher sind unmittelbare Vergleiche, was die Organüberlebensrate und die Patientenlebensqualität betrifft, zwischen Sandimmun Optoral und den Ciclosporin Generika nicht möglich. Ein weiterer wichtiger Punkt, der bislang nur wenig Beachtung gefunden hat, ist die Frage der Interaktion der Ciclosporin-Derivate und den zusätzlich in der immunsuppresiven Therapie eingesetzten Medikamenten. Bislang gibt es keine vergleichenden Untersuchungen, ob die Ciclosporin-Generika das Wirkungsprofil z. B. von Cell Cept oder Myfortic anders beeinflussen als Sandimmun Optoral.

Kein Name : Wirkt sich ein Ersatz von der Originalsubstanz Ciclosporin unterschiedlich bei unterschiedlichen Organen aus? Also bei einer gespendeten Niere anders, als beim, Herzen, Leber usw.?

PROF. THAISS: Im Prinzip muss man bei allen Organstransplantationen, sollte man sich denn für die Umstellung auf das Generikum entschließen, immer das besondere pharmakologische Profil der neu eingesetzten Substanz beachten oder bedenken. Dies gilt sowohl für nieren-, wie auch herz- oder lebertransplantierte Patienten.

Petra : Mein Mann ist am 11.02.08 transplantiert worden. Jetzt liegt die Gamma GT bei 1340 und die andere Leberwerte steigen auch. Es sind sämtliche Untersuchungen gemacht worden. Man weis nicht weiter. Haben Sie eine Vermutung woran es liegen könnte bzw. welche Therapie sinnvoll wäre?

PROF. THAISS: Ich gehe davon aus, dass es sich hier um eine Lebentransplantation mit persistierend hohen Transaminasen handelt. Die Differenzialdiagnose der hohen Transaminasen nach Lebertransplantation ist umfangreich und reicht von einer Virusinfektion in der Leber über eine Durchblutungsstörung (eventuell auch im Rahmen einer Herz-Muskel-Insuffizienz) bis hin zur Abstoßung des transplantierten Organes. Wenn klinisch die Differenzialdiagnosen nicht abgeklärt werden können, hilft häufig eine Lebenbiopsie weiter. Das Transplantationszentrum, in dem die Transplantation durchgeführt wurde, wird sicher weitergehende diagnostische Maßnahmen ergreifen können.

Ulle : Was sind das für Unternehmen diese Generika-Hersteller? Sind das reine Produzenten, oder leisten die auch sonst irgendwo einen wissenschaftlichen Beitrag zum Gesundheitswesen?

PROF. THAISS: Die Generika-Hersteller sind Pharma-Hersteller, die die Medikamente sorgfältig herstellen und mit gleichbleibender Sorgfalt die Medikamente auch produzieren. Allerdings führen die Pharma-Hersteller von Generika keine wissenschaftlichen Untersuchungen durch und beteiligen sich nicht an der Neuentwicklung von Pharmaka. Generika-Hersteller eröffnen damit keine neuen Perspektiven für Medikamente mit neuen Behandlungsoptionen und haben damit auch keine Entwicklungskosten für die Neueinführung von Medikamenten. Um hier die forschende pharmazeutische Industrie entsprechend zu schützen, hat der Gesetzgeber das Patentrecht eingeführt und erlaubt damit der forschenden Pharma-Industrie die ausschließliche Nutzung eines neuen Präparates für einen gewissen Zeitraum. Zu bedenken ist jedoch, dass von den möglichen neuen Präparaten, die den Weg in den klinischen Alltag suchen, nur ein Bruchteil der Medikamente auch tatsächlich in der Klinik und in der Therapie dann Eingang findet.

Yogi : Habe Schlafstörungen die werden immer schlimmer weil ich große Angst habe, dass mein nächstes Rezept irgendein anderes Medikament aufweist. Kann ich das überhaupt verhindern?

PROF. THAISS: Ich würde annehmen, dass der den Patienten betreuende Transplantationsmediziner sorgfältig abwägt, welche Medikamente er dem Patienten rezeptiert. Bei Rezeptor durch z. B. den Hausarzt sollte immer eine Rückfrage an das Transplantationszentrum erfolgen, ob eine Therapieumstellung auf ein Generikum überhaupt erwogen werden kann. Häufig ist die klinische Situation der transplantierten Patienten schwierig und die Umstellung einzelner Medikamente sollte unterbleiben, um die Interaktion zwischen den verschiedenen Medikamenten, auf die die Patienten angewiesen sind, nicht nachhaltig zu beeinflussen.

Conny : Sicherlich gibt es zuverlässige Studien, die die Zuverlässigkeit von Ciclosporin-Medikamenten belegen. Ich persönlich nehme seit meiner Nierentransplantation vor 8 Jahren Sandimmun und habe noch keine Schwierigkeiten gehabt seither. Alles bestens. Ich fahre lieber nach Berlin oder Bonn, wo immer derjenige sitzt, der so etwas festgelegt hat und schüttele ihn durch, als darauf zu verzichten. Wer fällt solche Entscheidungen? Die Gesundheitsministerin, gibt es da ein Gremium?

PROF. THAISS: Die Gremien, die diese Entscheidung treffen, sind die GKV-Spitzenverbände und der Deutsche Apothekerverband. In diesen Gremien steht die Entscheidung generell dann an, sobald der Patentschutz für ein Präparat abgelaufen ist. Zu diskutieren wäre, ob das 1983 eingeführte Ciclosporin identisch mit dem 1994 eingeführten Sandimmun Optoral ist. Nach Sicht der Transplantationsmediziner und nach aktueller Studienlage gibt es erhebliche Differenzen zwischen dem Sandimmun Optoral, das als Mikroemulsion vorliegt und dem Original-Präparat, das zunächst 1993 zugelassen wurde und für das jetzt prinzipiell Generika zur Verfügung stehen.

Petra : Alle Blutuntersuchungen waren bisher ohne Befund . Ultraschall auch.Die Leber arbeitet nach allen Untersuchungen einwandfrei. Gallengänge sind auch durchlässig aber entzündet. Er bekommt aber seit drei Wochen Antibiotika. Trotzdem steigen die Werte weiter. Er hat wohl den MRSA-Keim sich eingefangen. Dagen bekommt er auch Antibiotika. Alles IV !! Trotzdem weis man nicht weiter. Die Transplantation fand statt obwohl er erst 15 Punkte hatte.

PROF. THAISS: Leider kann ich aufgrund der Komplexität des geschilderten Falles und ohne die Daten von dem Patienten im Einzelnen zu kennen, keine genaue Stellungnahme abgeben. Eine Schädigung der transplantierten Leber durch die verabreichten Antibiotika ist denkbar. Eine Überweisung in das Transplantations-Zentrum zur Evaluation ist sicher sinnvoll.

Marin : Warum liegt den Politikern oder Gesundheitsleuten so sehr daran, dass Patienten diese Nachahmermedikamente verschrieben bekommen? Ist denn die Ersparnis wirklich so groß, auch wenn man mögliche Komplikationen bei den Patienten berücksichtigt?

PROF. THAISS: Der Rahmen der Kostenersparnis im Bereich der Transplantations-Medizin durch Einführung der Ciclosporin-Generika ist nicht abzuschätzen. Auf der einen Seite ist korrekt, dass die Generika preisgünstiger als das Sandimmun Optoral sind. Auf der anderen Seite zeigen alle bislang durchgeführten klinischen Studien, dass die Bioverfügbarkeit der Ciclosporin-Generika um 10 bis 30 % niedriger als die von Sandimmun Optoral liegen. Mögliche Einsparungen werden dann durch die anstehende höhere Dosierung der Generika zum Teil oder vollständig wieder zunichte gemacht. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass über mögliche Ciclosporin-Toxizität von Generika bei transplantierten Patienten noch keine Untersuchungen vorliegen. Vorstellbar ist, dass die Toxizität ggf. höher liegt als bei Sandimmun Optoral. Damit könnte eine verkürzte Überlebensrate des Transplantates einhergehen. Eine vorzeitige Retransplantation oder ein erneuter Beginn der Dialysebehandlung wäre dann mit weiteren erheblichen Kosten verbunden. Insgesamt bleibt also nachzuweisen, dass langfristig die Summe der möglichen Einsparungen durch die Generika tatsächlich sich auch in Einsparungen im Gesamtbudget bei der Versorgung der transplantierten Patienten niederschlägt.

Petra : Er liegt in einem LTX Zentrum und die wissen wie gesagt nicht weiter und ich auch nicht. Wäre es sinnvoll sich vielleicht mal eine zweite Meinung einzuholen. Ich kann Ihnen auch gerne noch weiter Werte nennen.

MODERATOR: Es steht Ihnen frei, sich über die Telefonzentrale des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf mit dem Büro von Herrn Professor Thaiss in Verbindung zu setzen.

Ferhat : Wie läuft so eine Zulassung von einem Generikum ab? Durchläuft das genau die gleichen Tests oder ist das reduziert, wenn schon so etwas ähnliches jahrelang erfolgreich war? Wie sicher ist das für meinen Vater mit Spenderniere (Leichenspende)?

PROF. THAISS: Ein Generikum durchläuft ähnliche aber reduzierte Testverfahren, da sich das Generikum an den bekannten Daten beim Originalpräparat orientiert. Über den sicheren Einsatz von Ciclosporin-Generika im Vergleich zum Sandimmun Optoral muss im Einzelfall entschieden und mit den betreuenden Transplantationszentren abgestimmt werden.

Kusiak : Werden jetzt wenigstens alle Fälle von Abstoßungen und sogar evtl. Organverlust zentral dokumentiert und nachverfolgt, damit man zu vernünftige Vergleichsdaten kommt? Dann mit bisherigen Daten verglichen, das Ergebnis publizieren und dann können Betroffene irgendwann klagen…….. ich habe eine solche Wut!! Das dauert Jahre. Gibt es schon speziell zu diesem Punkt ärztliche Aktivitäten oder auch übergeordnete Selbsthilfe?

PROF. THAISS: Die Frage der Organtransplantation und der Abstoßung der Transplantate wird seit Kurzem im Rahmen von BQS-Daten zentral in Deutschland erfasst und ausgewertet. Diese Daten erlauben allerdings im Augenblick noch keinen Rückschluss auf die zugrunde liegende immunsuppressive Therapie. Große klinische Studien sind bislang nur mit den Originalpräparaten durchgeführt worden. Die Hersteller von Generika werden diese groß angelegten klinischen Studien nicht wiederholen und sind auch nicht verpflichtet, klinische Studien in ähnlichem Umfang durchzuführen. Von Seiten der Patienten-Selbsthilfegruppen, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für klinische Nephrologie und der Deutschen Transplantationsgesellschaft gibt es jedoch Bemühungen, auf die Unterschiede zwischen den Ciclosporin-Generika und Sandimmun Optoral aufmerksam zu machen.

Kujawsky : Als Laie ist ja nicht wirklich zu verstehen, warum gleiche Inhaltsstoffe manchmal anders wirken. Ich lese aber immer häufiger, dass das wohl so ist. Deshalb hat mein Onkel auch große Angst, dass er jetzt nicht mehr Standard Medikament nehmen kann, was er seit seiner Herztransplantation bekommen hat, weil das jetzt irgendwie verschärft worden ist mit den Ersatzprodukten. Gibt es eine medizinische Erklärung, wie ich meinen Onkel evtl. beruhigen könnte?

PROF. THAISS: Gleiche Inhaltsstoffe in den Medikamenten erzeugen bei den Patienten nicht gleiche Wirkung, wenn die pharmakologischen Eigenschaften der Medikamente nicht zu 100 % übereinstimmen. So können Unterschiede in der Resorption der Medikamente, in der Konzentration der Medikamente im Blut und der Konzentration der Medikamente am Wirkort zu erheblich geänderten pharmakologischen Profilen führen. Erst in den vergangenen Jahren hat man gelernt, dass über die pharmakologischen Effekte der Medikamente hinaus auch Unterschiede in der Pharmakodynamik bestehen können. Damit können erhebliche Schwankungen von Ciclosporin im Blut und den Abwehrzellen im Blut entstehen. Eine Umstellung der Therapie sollte daher nur unter Aufsicht von erfahrenen Transplantationsmedizinern erfolgen.

Helios : Gibt es eine Organisation, Selbsthilfe o.ä. die Unterschriften sammelt gegen Nachahmermedikamente für Organempfänger? Ich mach sofort mit!

PROF. THAISS: Nach meiner Information gibt es bislang keine Unterschriftensammlung gegen Generika im Bereich der Transplantationsmedizin.

Dehne : Mich interessiert die persönliche Meinung von Prof. Thaiss. Sind nach Ihrer meinung Generika durchweg so gut wie das Original?

PROF. THAISS: Aus den genannten Gründen sehe ich erhebliche Unterschiede zwischen den Ciclosporin-Generika und Sandimmun Optoral. Bei Patienten, die eine Vielzahl verschiedener immunsuppressiver Medikamente und weiterer Pharmaka einnehmen, sollte eine Therapieumstellung nur nach sorgfältigem Abwägen erfolgen.

Stehli_R : Es wird ja in den Medien immer wieder darauf hingewiesen, wie unsinnig es sei, dass es so viele ähnliche Medikamente gibt. Bei den Generika hätte man doch jetzt die Möglichkeit, da für eine Limitierung zu sorgen. Wenn sie denn doch angeblich alle gleich wirken, brauchen wir ja auch nur ein Generikum oder? Ist so eine Verfahrenweise schon mal angedacht worden? Oder traut sich da keiner ran?

PROF. THAISS: Die Ciclosporin-Generika unterscheiden sich untereinander in ihrem Resorptionsverhalten und sind daher auch nicht beliebig austauschbar. D. h. es gibt sowohl unter den verschiedenen Generika wie auch zum Originalpräparat erheblich Unterschiede im Resorptionsverhalten, im Aufbau des Wirkspiegels und im Abklingen des Medikamentenspiegels am Zielort. Daher sollte nicht nur der Austausch des Originalpräparates gegen ein Generikum sorgfältig abgewogen werden, sondern auch der Austausch verschiedener Generika untereinander kann nur nach sorgfältiger Prüfung und Überwachung des Patienten erfolgen. Daher ist es zwingend notwendig, dass die Patienten darauf achten, dass sie fortgesetzt und kontinuierlich ein und dasselbe Ciclosporin-Präparat rezeptiert bekommen.

anonym : Gibt es Untersuchungen, die hundertprozentig die gleichgute Wirksamkeit und Wirkungsweise von Nachahmerpräparaten zur Immunsuppression in der Transplantationsmedizin beweisen? Ohne wenn und aber?

PROF. THAISS: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die jetzt zugelassenen Ciclosporin-Generika erhebliche Unterschiede in der Resorption und der Pharmakokinetik im Vergleich zu Sandimmun Optoral aufzeigen. Daher sollte - wenn überhaupt eine Therapieumstellung erwogen wird - sorgfältig bei jedem Patienten individuell geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Dosierungen das Ciclosporin-Generikum appliziert werden kann und muss.

PROF. THAISS: Kostenersparnis im Gesundheitswesen ist sicherlich ein relevantes Problem, das uns alle angeht. Allerdings bleibt in dem hochspezialisierten Fachgebiet der Transplantation-Immunologie und Transplantations-Medizin abzuwägen, ob eine Umstellung sinnvoll ist, da ein Organverlust oder eine Verkürzung der Funktionstüchtigkeit des transplantierten Organes zu erheblichen zusätzlichen Kosten im Gesundheitswesen führen kann. Ich danke Ihnen für die zahlreichen interessanten Fragen und wünsche Ihnen einen schönen Abend!



Ende der Sprechstunde.