Aufgewühlt und niedergedrückt - was ist mit mir los- Manisch-depressive Stimmungsschwankungen

Bezirkskrankenhaus Kempten, Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Brieger
ärztlicher Direktor
FA für Psychiatrie und Psychotherapie, ärztl. Qualitätsmanagement,
Forensische Psychiatrie, Suchtmedizinische Grundversorgung
Freudental 1
87435 Kempten

Tel.: 0831/54026-212
Fax: 0831//54026-218

Privatdozent an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg
Privatambulanz
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Schwerpunkte:

•    Bipolar affektive Störungen
•    Rehabilitation und Prognose psychischer Störungen

PROTOKOLL

Aufgewühlt und niedergedrückt - was ist mit mir los- Manisch-depressive Stimmungsschwankungen

Alina : Ist so etwas erblich, direkt, überspringt es, wie läuft das?

PD Dr. Brieger : Bipolare Störungen haben verschiedene Ursachen, dabei sind genetische (erbliche) Anteile bekannt. Genetische Ursachen sind also ein Aspekt aber nicht der einzige.

Bal : Gehören manische Depressionen in die Nähe von Schizophrenie?

PD Dr. Brieger : Nein, die manisch depressiven Erkrankungen (bipolare Störungen) sind affektive Erkrankungen. Sie können mit Wahn oder Halluzinationen einhergehen. Die Überlappung mit Schizophrenie ist aber zumeist gering.

blueangel : Sind launische Menschen, die im Alltag zu wechselhaften Stimmungslagen neigen, gefährdeter, manisch-depressiv zu werden?

PD Dr. Brieger : Das weiß man nicht genau. Es gibt zwar Überlegungen, dass bipolare Störungen mit bestimmten Temperamenten einhergehen, sichere Zusammenhänge, dass z. B. ein reizbares Temperament zur bipolaren Störung führt, gibt es aber nicht.

Riek : Kann man bipolare Störungen, wie eine Depression, durch Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI, sog. moderne Anti-Depressiva) beheben oder wenigstens verbessern?

PD Dr. Brieger : Man kann bipolare Depressionen mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI) erfolgreich behandeln. Dabei mag eine gewisse Gefahr bestehen, dass die Depression in die Manie umschlägt. An und für sich sind aber SSRI eine wirksame Behandlung der bipolaren Depression. Zur Behandlung der bipolaren Manie sind sie natürlich nicht geeignet - wie auch zur Behandlung von so genannten Mischzuständen. Inwieweit sie in der Dauertherapie anzuwenden sind, hängt vom jeweiligen Patienten ab.

Gürkan : Wie kommt es zu den Phasenwechseln bei manisch-depressiven Patienten, ist das dann nur eine Veränderung der Werte, ich meine Stoffwechsel?

PD Dr. Brieger : Das ist eine hochinteressante Frage. Genaues dazu ist aber leider bislang nicht bekannt. Veränderungen des Stoffwechsels, die man beobachten kann, scheinen eher Folge und nicht Ursache des Phasenwechsels zu sein.

Hopefull : Meine Frage ist, wann ist es noch "normal", mehrmals täglich zwischen gut gelaunt und ziemlich traurig zu wechseln und wann ist die manische Depression krankhaft manifestiert? Z. B. heute Morgen bin ich gut gelaunt in die Stadt, nachmittags sehe ich dann einen Bericht über Beerdigungen im Fernsehen worauf ich zu weinen begann, da ich Angst davor habe, meine Mutter zu verlieren, mittlerweile bin ich wieder fast euphorisch dabei, mit einer Freundin zusammen zu sitzen.

PD Dr. Brieger : Was Normalität ist, ist schwer zu bestimmen. Der wichtige Aspekt bei solchen Fragen ist, ob Sie unter diesen Stimmungsschwankungen selber leiden oder ob Ihre Umgebung, Ihre Familie, Ihre Arbeitsfähigkeit darunter leiden. Wenn es zu solchen psychosozialen Konsequenzen kommt, dann können solche Schwankungen krankhaft sein. Da gibt es beispielsweise das Störensbild der Zyklothymia, das solche leichten Stimmungs-schwankungen meint.

Keks : Dass ich Zoloft nehmen muss, habe ich akzeptiert, ich bin sogar froh darüber, dass es sie gibt. Aber macht die psychotherapeutische Betreuung bei einer manisch-depressiven Krankheit wirklich Sinn?? Ich finde das eher belastend.

PD Dr. Brieger : Psychotherapie bei bipolaren Störungen ist dann hilfreich und effektiv, wenn Sie störungsspezifisch ist. Das bedeutet, dass die Krankheit, ihre Symptome, ihre Auswirkungen und der Umgang damit in Einzel- oder Gruppentherapie besprochen wird - ggf. unter Einbeziehung von Angehörigen. Ziel solcher Psychotherapie ist es, den Betroffenen zum Experten seiner Erkrankung zu machen. Klassische tiefenpsychologische Psychotherapie dagegen ist in ihrer Wirksamkeit bei bipolaren Störungen kaum untersucht.

Almut_Edel : Wie kann ein Psychiater eine manisch-depressive Erkrankung diagnostizieren? Was passiert dann?

PD Dr. Brieger : Manische depressive Erkrankungen sind gar nicht so einfach zu diagnostizieren. Dabei muss man den "Längsschnitt", also den Verlauf der Erkrankung betrachten, was bedeutet, dass man den Patienten gut kennt oder sich entsprechend viel Zeit nimmt - unter Umständen auch unter Einbeziehung eines Familienangehörigen. Wenn sich dann zeigt, dass es im Verlauf sowohl zu Manien wie auch Depressionen kommt, ist die Diagnose einer manisch depressiven Erkrankung (bipolaren Störung) zu erwägen. Was dann passiert, wenn eine solche Diagnose gestellt wird, kann ich schlecht pauschal beantworten. In jedem Fall sollte der Patient (und seine Angehörigen) über die Erkrankung aufgeklärt werden. Gab es in der Vergangenheit behandlungsbedürftige manische oder depressive Episoden, dann sollte auch eine Dauertherapie angestrebt werden - möglichst sowohl medikamentös wie auch psychotherapeutisch.

Reimer : Kann man davon ausgehen, dass eine manisch-depressive Erkrankung heute gut medikamentös eingestellt werden kann? Der behandelnde Psychiater unseres Sohnes hat uns das als Trost gesagt, aber so richtig können wir das nicht glauben. Wird unser Sohn (28) unbetreut leben können?

PD Dr. Brieger : Die therapeutischen Möglichkeiten haben sich in den letzten 20 Jahren zum Glück wesentlich verbessert. Wir haben heute viele Medikamente und auch psychotherapeutische Verfahren, die zur Behandlung der bipolaren Störung geeignet sind. Die überwiegende Zahl der Patienten mit einer solchen Störung wird absoluten selbständig leben und arbeiten können, wenn eine entsprechende dauerhafte und vertrauensvolle Behandlung erfolgt. Ich kann Ihnen vielleicht als Tipp das Buch von Kay Redfield Jamison "Meine ruhelose Seele" empfehlen, in der eine weltweit anerkannte Expertin für bipolare Störungen von ihrer eigenen Erkrankung berichtet und wie sie damit umgegangen ist.

Hopefull : Wann ist es pathologisch und wann kann man noch von alltäglich normalen Tagesschwankungen reden?

PD Dr. Brieger : Tagesschwankungen kennt wahrscheinlich jeder. Die Schwankungen bei bipolaren Störungen zwischen den Polen Manie und Depression folgen nicht notwendigerweise dem Tagesrhythmus. Das bedeutet also, dass Tagesschwankungen möglicherweise mit einer bipolaren Störung zusammenhängen könnten, die Regel ist dies aber nicht.

Britty : Mein Mann fährt Auto, obwohl er das nach der Einnahme von Zoloft nicht soll. Er weiß das ganz genau, aber ich kann ihn weder überzeugen noch stoppen. Manchmal denke ich, er will damit Normalität demonstrieren. Aber ich ängstige mich jedes Mal halb zu Tode. Wie soll ich mich verhalten, mit seinem Arzt darüber sprechen? Mein Mann würde das als Verrat ansehen.

PD Dr. Brieger : Das ist eine ganz, ganz schwere Frage. Zum einen sollten Sie mit Ihrem Mann darüber reden, dass eingeschränkte Fahrtüchtigkeit aufgrund von Medikamenten ein Problem sein kann und dass das schwerwiegende Konsequenzen haben könnte, wenn es zum Unfall käme. Zum anderen ist es aber so, dass ein Patient, der stabil auf Zoloft eingestellt ist, kein akuten Krankheitssymptome hat und auch keine entsprechenden Nebenwirkungen des Medikaments aufweist, durchaus fahrtauglich sein kann. Deswegen sollte Ihr Mann vertrauensvoll mit seinem Arzt besprechen, da es in dieser Hinsicht eine gute Chance gibt - es muss nur entsprechend kompetent geprüft und dokumentiert werden.

Krümel : Mein Mann ist auf Zoloft umgestellt worden und ich finde, es geht ihm jetzt sehr viel besser als vorher. Er merkt das nicht so und meint, es hätte sich nichts verändert. Ist das normal, ist das eine Übergangsphase?

PD Dr. Brieger : Es gibt nicht selten eine Diskrepanz zwischen dem, wie sich der Betroffene selbst fühlt und wie ihn die Umgebung erlebt. Die relative Normalität, die Ihr Mann hier erreicht hat, erscheint mir doch ein ganz gutes Behandlungsergebnis zu sein.

Susanne : Könnte der Experte laienverständlich erklären, was im Gehirn eines manisch-depressiven Patienten falsch läuft, insbesondere während der Phasenwechsel?

PD Dr. Brieger : Ich glaube, diese Frage kann ich nicht sehr gut beantworten. Wir wissen heute von einigen Veränderungen im ZNS von Menschen mit bipolaren Störungen, so etwa unterschiedliche Stoffwechselaktivitäten in verschiedenen Hirnregionen, Veränderungen bei den Neurotransmittern oder Veränderungen bei hormonalen Botenstoffen. Ein einfaches oder klares Bild, was da im Einzelnen passiert, wenn ein Mensch manisch, depressiv oder "irgendetwas dazwischen" wird, haben wir aber bislang nicht. Nachweisen kann man vielmehr, dass einiges verändert ist.

anonym : Mein Sohn ist 17 und zieht sich sehr zurück. Seine schulischen Leistungen sind eingebrochen, er ist manchmal tagelang deprimiert und sagt kaum ein Wort. Dann ist er wieder überdreht und kennt seine Grenzen nicht. Ich habe nicht den Eindruck, dass er Drogen nimmt. Könnte das in Richtung bipolare Störung gehen?

PD Dr. Brieger : Das ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Wir wissen in der Tat heute, dass bipolare Störungen häufig erste Krankheitssymptome weit vor dem 18. Lebensjahr zeigen können. Entsprechende Stimmungsschwankungen können dann in der späten Kindheit oder dem Jugendalter zu beobachten sein. Zum anderen ist aber die Entwicklung eines 17-Jährigen noch im Gange: Vorübergehende depressive Symptome, wie auch Überschwänglichkeit, sind oft in einem solchen Lebensalter unspezifisch bzw. könnten auch auf äußere Belastungen zurückgehen. Es wäre aber sicherlich ratsam, fachärztlichen Rat einzuholen, etwa bei einem Kinder- und Jugendpsychiater. Das wäre ganz besonders dann wichtig, wenn es in der Familie Angehörige mit bipolaren Erkrankungen oder anderen schweren psychischen Störungen gäbe.

Hardy : Habe durch Psychotherapie, intensive Veränderungen meines Lebens und medikamentöse Unterstützung (Cipralex, täglich 10 mg) eine Lebenskrise mit mittelschwerer reaktiver Depression überwunden und bin seit Monaten medikamenten- und beschwerdefrei. Bin unendlich dankbar und glücklich, stehe vor neuen interessanten Aufgaben und habe die bösen Geister hinter mir lassen können. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich Halluzinationen, wahnhafte Ideen oder psychotische Schübe. Trotzdem bin ich jetzt so sensibilisiert, dass ich mich viel zu stark selbst beobachte. Wie gewinne ich mein Urvertrauen zurück und schütze mich vor Rückfällen oder sogar neuen psychischen Erkrankungen? Am meisten Angst habe ich vor der manisch-depressiven Erkrankung bzw. der Schizophrenie!

PD Dr. Brieger : Depressionen sind sehr häufig, etwa 10 bis 15 % der Bevölkerung leiden unter solchen Störungen im Laufe ihres Lebens, oft wie Sie im Zuge einer Lebenskrise, manchmal aber auch ohne klaren äußeren Anlass. Depressionen sind, wenn sie rechtzeitig und gut diagnostiziert werden, gut behandelbar und das, was Sie schildern scheint mir richtig gewesen zu sein. Ich weiß aber von vielen meiner Patienten, dass das Erlebnis einer Depression die Wahrnehmung der Welt verändert. Die von Ihnen beschriebene erhöhte Sensibilität mag Sie belasten, vielleicht ist es aber auch ein Zugewinn. Nach fast jeder schweren Erkrankung - und dazu zählt auch die Depression - gibt es eine lange Phase der Rekonvaleszenz (Wiederherstellung). Das alte Vertrauen, die alte Belastbarkeit wieder zu erlangen, kann dauern, wird aber in der Regel wieder erreicht. Dafür, dass Sie eine Schizophrenie entwickeln würden, sehe ich keine Hinweise. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie nach nur einer depressiven Episode manisch depressiv werden, ist nicht sehr groß.

Ingo_Macili : Es gibt ja unterschiedliche Medikamente, die bei einer manisch-depressiven Erkrankung verschrieben werden. Worin unterscheiden sie sich? Meine Schwester hat sehr erheblich zugenommen, was sie zusätzlich unglücklich macht.

PD Dr. Brieger : Wir haben inzwischen mehrere gut wirksame Medikamente, die zur Dauertherapie, zur Vorbeugung (Prophylaxe) der bipolaren Erkrankung zugelassen sind. Diese haben aber unterschiedliche Wirkungsweisen und auch unterschiedliche Nebenwirkungen. Manche von den bewährten Substanzen (z. B. Lithium oder Valproinsäure) haben tatsächlich oft die Nebenwirkung der Gewichtszunahme. Einige andere Substanzen könnten da günstiger sein, das muss aber jeweils mit dem behandelnden Arzt offen besprochen werden. Ich glaube, wir Ärzte haben manches Mal früher die Nebenwirkung Gewichtszunahme unterschätzt, beachten das aber in den letzten Jahren immer mehr.

anonym : Meine Tochter leidet unter einer bipolaren Störung. Sie ist auf Edronax eingestellt und möchte wissen, ob Zoloft für sie evtl. geeigneter ist. Habe gehört da sind weniger Nebenwirkungen.

PD Dr. Brieger : Hat Ihre Tochter Nebenwirkungen unter Edronax? Wenn die Behandlung bislang erfolgreich verlaufen ist, sollte man im Allgemeinen mit medikamentösen Umstellungen zurückhaltend sein. Möglicherweise gibt es aber Hinweise, dass Edronax zu einer erhöhten "Switch-Rate" (d. h. Umschlag von Depression in die Manie) führen kann. Für das Zoloft gibt es hierfür weniger Hinweise.

anonym : Meine Mutter warnt mich immer wieder davor, dass regelmäßiges Kiffen das Gehirn dauerhaft und unwiederbringlich schädigt. Das kann ich mir gar nicht vorstellen oder stimmt das doch?

PD Dr. Brieger : Ihre Mutter hat hier wohl Recht. Wir wissen heute, dass dauerhafter Cannabis-Konsum in großen Dosen zu dauerhaften Schäden führen kann. Das betrifft Konzentration, Gedächtnis, Antrieb, Stimmung und kann ggf. auch zu Psychosen führen.

Melik : Mein Freund hat aus Angst vor plötzlichen Panikschüben immer eine Tablette Lorazepam (Tavor, Expidet) im seiner Geldbörse. Wenn er Angst oder Panik kriegt, legt er die unter die Zunge und nach 10 Minuten ist er beruhigt. Er ist dann schläfrig und reduziert, stundenlang. Ich finde das entsetzlich, das ist doch keine Lösung. Ist das eine manische Depression, wird mein Freund verrückt?

PD Dr. Brieger : Aus dem, was Sie mir berichten, kann ich nicht erkennen, dass Ihr Freund manisch depressiv ist. Was Sie beschreiben, ist eine typische Panikstörung. Nicht gut finde ich, den Gebrauch von Lorazepam, da dieses Medikament zur Abhängigkeit - körperlich und seelisch - führen kann. Panikstörungen lassen sich aber mit Verhaltenstherapie, am besten in Kombination mit einem SSRI sehr gut behandeln. Ihr Freund sollte von daher Kontakt mit einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einer entsprechenden spezialisierten Behandlungseinrichtung (z. B. Angstambulanz) Kontakt aufnehmen, da man ihm dort möglicherweise dauerhaft und effektiv helfen kann.

Hubert : Mein Nachbar ist sehr merkwürdig. Überschwänglich bis apathisch. Ich weiß, dass er in Behandlung ist. Sind solche Menschen auch gefährlich?

PD Dr. Brieger : In der Manie können zwar Menschen mit bipolaren Störungen Unüberlegtes tun, was Ihnen dann im Nachhinein leid tut. Manisch depressive Erkrankungen führen aber nicht per se dazu, dass Betroffene gefährlicher wären als "Ottonormalverbraucher". Ob Ihr Nachbar tatsächlich bipolar ist und in welcher Behandlung er sich befindet, weiß ich natürlich nicht. Mein Tipp, auch meine Bitte, ist aber, in dem Nachbarn zunächst einmal den Mitmenschen zu sehen.

Becker2 : Gibt es, wie bei Krebs z.B., auch eine Stadieneinteilung von manischen Depressionen? Wie grenzen die sich ab?

PD Dr. Brieger : Es gibt und gab Versuche, bipolare Störungen weiter zu unterteilen. Ein Versuch ist beispielsweise, unterschiedliche Verlaufstypen zu unterscheiden. So gibt es in neueren Diagnosesystemen die Unterscheidung zwischen bipolarer Störung I (ausgeprägte Depressionen und ausgeprägte Manien) und bipolarer Störung II (Depressionen, aber immer nur leichte Hypomanien). Auf jeden Fall kann man im Krankheitsverlauf zwischen verschiedenen Episoden unterscheiden: Es gibt Depressionen, Manien, Mischzustände und ausgeglichene Zeiten.

Gröge : Manchmal wird mir alles zu viel, ich renne durch meine Wohnung, finde keine Ruhe, bin unglücklich und verzweifelt. Mein Herz klopft, ich habe Druck auf der Brust (EKG ist bestens, alles schon überprüft), mir ist übel, ich schwitze und möchte gern heulen, aber ich kann nicht. Irgendwann ist es dann vorbei. Nach ein paar Stunden, manchmal auch schon nach ein paar Minuten. Ist das eine manische Phase?

PD Dr. Brieger : Auch das klingt nach einer Panikstörung. Wenn die Episoden, von denen Sie berichten, plötzlich beginnen, mit Angst und Unruhe einhergehen, wenn Sie dabei körperliche Symptome wie Mundtrockenheit, Kaltschweißigkeit und ähnliches haben und alles gut körperlich abgeklärt ist, dann spricht vieles dafür. Hier hilft Verhaltenstherapie (im Sinne einer spezialisierten Angsttherapie) - am besten in Kombination mit einem Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI).

Veilchen : Ob nun bipolare oder uni-polare Depression, beides ist mit starkem Angsterleben verbunden. Diese Angst macht mir am meißten zu schaffen. Ich bin Mitglied in einer Selbsthilfegruppe GEGEN DIE ANGST. Kann ich mit der Teilnahme an den Gruppentreffen meinen Therapieverlauf unterstützen, oder kann das sogar schädlich sein für mich, dass ich da hingehe.

PD Dr. Brieger : Gruppentherapien gehören in stationären Einrichtungen, aber zunehmend auch im niedergelassenen Bereich, zum Standard. Wichtig ist, dass so eine Gruppensitzung richtig moderiert wird. Gruppentherapien ohne geschulte Leitung durch einen Psychotherapeuten oder Psychiater finde ich wenig vielversprechend. Gerade im Bereich manisch-depressiver Patienten kann es da auch mal hoch hergehen im Gespräch, obwohl Patienten in einer akuten manischen Phase natürlich nicht an einer Gruppentherapie teilnehmen können. Uni-polar Depressive könnten die "Lasten" der anderen noch zusätzlich aufnehmen, wenn die Gruppe nicht professionell moderiert wird. Abschließend zu Ihrer Frage: Wenn es Ihnen gut tut, dort hin zu gehen, dann tun sie es. Wenn nicht, dann lassen sie es.

NicoleStern : Es ist wirklich gut, dass es Zoloft gibt, aber ich habe immer die Angst im Hinterkopf, dass man davon doch richtig abhängig wird.

PD Dr. Brieger : Hierzu gab es in der Vergangenheit viele Untersuchungen. Eine klassische Abhängigkeit wie von Alkohol oder Beruhigungsmitteln (Benzodiazepinen) gibt es bei Zoloft und anderen Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern nicht.

anonym : Woher kommt eigentlich der Begriff bipolare Störung? Gibt es auch tripolare oder einfach nur polare Störungen?

PD Dr. Brieger : Der Begriff bipolare Störungen ist noch relativ jung. Früher sprach man von manisch depressiver Erkrankung. Bipolare Störungen sind dadurch gekennzeichnet, dass es im Rahmen einer psychischen Störung sowohl zu depressiven Symptomen bzw. Episoden (wie Traurigkeit, Niedergestimmtheit, Gefühl der Unzulänglichkeit, Freudlosigkeit, Antriebsverlust) und auch zu manischen Episoden (Hochgefühl, Größenideen, Verlust von sozialer Inhibition, Antriebssteigerung) kommt. Solche Episoden treten dann im Verlauf der Erkrankung immer wieder auf: Sie bilden die beiden Pole der Bipolarität. Unipolare Störungen gibt es auch: Das sind die klassischen melancholischen Depressionen, die nie mit einer Manie einhergehen. Ob es eine unipolare Manie gibt, d. h. Manien ohne Depressionen, ist in Fachkreisen heftig umstritten. Ihre Frage nach tripolaren Störungen finde ich amüsant, so recht fällt mir aber kein dritter Pol ein. In der Wissenschaft sind sie nicht bekannt.

ChristaMartinson : Habe etwas sehr Seltsames gehört: Nach schweren Operationen, in deren Rahmen Patienten an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen wurden, erkranken viele dieser erfolgreich operierten Menschen an schweren Depressionen. Ist da etwas dran? Kennt man die Zusammenhänge?

PD Dr. Brieger : Da ist etwas dran: Wir wissen heute, dass nach vielen schweren körperlichen Erkrankungen Depressionen auftreten - vergleichbare Befunde gibt es beispielsweise auch nach Herzinfarkt, Schlaganfall, bei Herzinsuffizienz oder Tumorerkrankungen. Bei einigen Erkrankungen, so etwa beim Herzinfarkt, scheint das Auftreten von Depressionen Auswirkungen auf den weiteren Krankheitsverlauf der körperlichen Erkrankung zu haben. Deswegen gibt es auch Überlegungen, bei solchen Patienten störungsspezifisch die Depression zu behandeln.

anonym : Welche Vorteile oder Risiken sind mit Lithium verbunden?

PD Dr. Brieger : Lithium ist in der Dauertherapie der bipolaren Störung bewährt und gut wirksam. Ein Vorteil des Lithiums ist, dass es sowohl Manien wie auch Depressionen vorbeugen kann. Ich kenne viele Patienten, die von einer Lithium-Behandlung bei bipolaren Störungen sehr profitieren. Lithium hat aber auch einige Probleme: Es dauert relativ lange, bis es seine Wirkung entfaltet (unter Umständen mehrere Wochen). Die Dosis muss genau eingestellt werden, da schon bereits relativ geringe Spiegelschwankungen zu Nebenwirkungen führen können. Nebenwirkungen sind neben Gewichtszunahme u. U. Beeinträchtigungen von Schilddrüse und Nierenstoffwechsel. All das muss deswegen regelmäßig kontrolliert werden. Auch muss der Blutspiegel des Lithiums immer wieder überprüft werden.

anonym : Kann eine bipolare Störung aus einer Magersucht entstehen?

PD Dr. Brieger : Ja. Nach einer Magersucht (Anorexie) kann sich durchaus eine bipolare Störung entwickeln. Es gibt in dieser Hinsicht ein etwas erhöhtes Risiko. Das ist aber keine einfache Ursache-Wirkung-Beziehung dergestalt, dass die bipolare Störung Folge der Magersucht ist. Die meisten magersüchtigen Frauen entwickeln ja keine bipolare Störung.

anonym : Wie sind die Heilungschancen für einen manisch-depressiven Patienten? Wir dachten zuerst, mein Bruder hätte eine Depression und waren dann sehr schockiert, als wir erfuhren, dass das alles noch viel schlimmer ist als erwartet.

PD Dr. Brieger : Wenn Sie unter Heilung verstehen, dass man mit Sicherheit sagen kann, dass Ihr Bruder keine weiteren Krankheitsepisoden mehr durchlebt, dann muss ich Sie enttäuschen. Solche Heilungschancen sind leider gering. Wir können aber heute bipolare Störungen gut und effektiv behandeln. Ich vermute, dass Ihr Bruder nach der depressiven Episode eine Manie entwickelt hat. Wenn er sich jetzt in konsequente und kompetente längerfristige Behandlung begibt, und diese zu einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung führt, dann sollte der weitere Verlauf positiv sein: Ihr Bruder muss sich dann an bestimmte Verhaltensregeln halten und unter Umständen Frühwarnzeichen beachten, dann sollte er mit der entsprechenden Veranlagung zur bipolaren Störung gut leben können.

Reuel : Gibt es Leitlinien für die Behandlung von bipolaren Störungen? Es würde mich auch interessieren zu erfahren, ob solche Leitlinien international abgeglichen sind?

PD Dr. Brieger : Es gibt viele Leitlinien für die Behandlung bipolarer Störungen. In Deutschland können Sie sich über die DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde), die DGBS (Deutsche Gesellschaft für bipolare Störungen) oder die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) weiter informieren. Diese Gesellschaften finden Sie jeweils im Internet. Über die entsprechenden Links finden Sie auch Hinweise auf die Leitlinien. Wichtige internationale Leitlinien sind die der US-amerikanischen APA. Ich persönlich halte die kanadischen Leitlinien (CANMAT) für die überzeugendsten. Leider ist aber die Vielzahl der verschiedenen Leitlinien noch wenig untereinander abgestimmt.

anonym : Kann man den Wechsel einer Phase vorhersehen, evtl. durch die Länge o. ä oder durch äußere Einflüsse?

PD Dr. Brieger : Es gibt in der Tat Frühwarnzeichen: Ganz wesentlich ist dabei der Schlaf. Entsprechende unvermittelte Veränderungen, die mehr als ein oder zwei Tage anhalten, sollten bei einem bipolaren Patienten Anlass sein, sich zu überlegen, ob es zu einer neuen Phase kommt. Auch entsprechende Veränderungen von Stimmung, Konzentration oder Antrieb können hier Hinweise sein. Feste Rhythmen, in dem Sinn, dass es immer gleiche "Periodenlängen" gibt, helfen aber in der Regel nicht. Äußere Einflüsse (Stress) können in der Tat neue Krankheitsepisoden auslösen.

Autofelge : Kann man Hormonelle Ursachen einer Depression herausfinden und wie und wo?

PD Dr. Brieger : Hormonstörungen können beim Mann und bei der Frau Depressionen bewirken. So ganz allgemein kann ich jetzt aber Ihre Frage nicht beantworten, aus Ihrem Beitrag geht leider noch nicht einmal Ihr Geschlecht hervor. Hilfe können Sie in entsprechenden spezialisierten Abteilungen finden, die sich mit Endokrinologie befassen. So gibt es z. B. an der Universität Bonn einen spezialisierten Lehrstuhl für gynäkologische Psychosomatik.

PD Dr. Brieger : Bipolare Störungen sind häufiger, als wir lange Zeit gedacht haben. Zum Glück haben sich aber in den letzten Jahren die Therapiemöglichkeiten wesentlich erweitert. So haben wir heute neue medikamentöse Substanzen (z. B. neben Lithium, Carbamazepin und Valproinsäure) auch Lamotrigin oder atypische Neuroleptika (z. b. auch Ziprasidon). Wichtig ist aber auch, dass psychosoziale und psychotherapeutische Behandlungen wirksam und besser verfügbar sind. Damit haben wir heute gute Möglichkeiten, bipolare Störungen effektiv zu behandeln. Ich danke Ihnen für die zahlreichen interessanten Fragen und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.



Ende der Sprechstunde.