Wege aus der Depression

Prof. Dr. med. H.-P. Volz
Ärztlicher Direktor  

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Facharzt für Neurologie
Forensische Psychiatrie
 
Zur Vermittlung eines Gespräches wenden Sie sich bitte an:

Frau Silvia Nagel

Telefon: 09722 - 21 1283
Fax: 09722 - 21 1465
E-Mail: silvia.nagel@kh-schloss-werneck.de 

PROTOKOLL

Wege aus der Depression

PROF. DR. MED. VOLZ: Wir beginnen um 19 Uhr.

KLawitter: Ich mache seit 3 Jahren eine Verhaltenstherapie. Anfangs gut, aber je mehr ich mich erholt habe und mein tägliches Leben wieder im Griff habe, desto mehr stören mich verschiedene Aspekte dieser Therapie. Ich habe versucht, das mit meinem Therapeuten anzusprechen, aber er lenkt mich dann immer in eine andere Richtung. Frage ist jetzt für mich, macht er das um mich längerfristig als Patient zu behalten, oder weil er glaubt, ich bin noch nicht so weit, wie ich denke? Welches Verhalten eines Psychotherapeuten sollte mich dazu bringen, die Therapie abzubrechen?

PROF. DR. MED. VOLZ: Diese Frage kann man seriöserweise nicht aufgrund dieser Angaben beantworten. Ich würde Ihnen raten, obwohl Sie das anscheinend schon versucht haben, ein ganz offenes Gespräch über dieses Problem mit dem Therapeuten zu führen. Sie haben ja offensichtlich das Gefühl gehabt, dann "abgelenkt" zu werden, aber dann könnten Sie doch Ihre Frage, so, wie Sie sie jetzt ins Netz gestellt haben, einfach dem Therapeuten schriftlich mitbringen können. Dann hätten Sie eine klare Diskussionsgrundlage.

JRodermann: Ich nehme seit 20 Jahren Diazepam (hieß früher Valium, wurde aber wegen des Spruchs VALIUM BRINGT OMI UM umbenannt). Immer die gleiche Dosis. Jetzt will mein neuer Hausarzt, dass ich einen Entzug mache. Das ist doch lächerlich, oder? Ich bin 76 und es geht mir gut.

PROF. DR. MED. VOLZ: Ich nehme an, dass sich durch den jahrelangen Gebrauch von Diazepam bei Ihnen eine so genannte Niedrigdosis-Abhängigkeit ausgebildet haben könnte. Wenn Sie solche Medikamente, wie Diazepam, einnehmen, haben Sie ein erhöhtes Risiko zu stürzen, was in höherem Alter häufig mit Komplikationen einhergeht. Es ist also nicht nur eine Frage des Prinzips, wenn Ihr Hausarzt versucht, Sie von diesem Medikament weg zu bekommen, sondern, er versucht damit auch, bei Ihnen Risiken für andere Erkrankungen zu vermindern.

Insofern, griffig formuliert, der Vorschlag Ihres Hausarztes ist nicht lächerlich!

Mark_Horatz: Ich nehme 20mg Cipralex täglich seit vier Wochen. Kann es sein, dass es noch länger dauert, bis eine Wirkung eintritt? Oder soll ich jetzt wechseln? Cipralex wurde mir als hochwirksam angekündigt. Davon merke ich bisher kaum etwas. Es geht mir nach wie vor dreckig.

PROF. DR. MED. VOLZ: Es gibt eine Faustregel für die Zeitdauer, die verstreicht, bis ein Antidepressivum zu wirken beginnt. Man geht hier von zwei bis drei Wochen nach Erreichen der ausreichenden Dosis aus. Wenn Sie also Escitalopram, das ist der Inhaltsstoff von Cipralex, seit vier Wochen mit einer Dosis von 20 mg eingenommen haben, ist dieser Zeitraum bereits überschritten. Insofern sollte man in der Tat darüber nachdenken, welche anderen Strategien eingeschlagen werden können. Diese Frage ist in den einschlägigen Leitlinien nicht eindeutig beantwortet, grob gesprochen kommen folgende Möglichkeiten in Betracht:

1. Zusätzliche Psychotherapie
2. Wechsel des Antidepressivums oder Zugabe ergänzender Substanzen (Augmentierung)
3. Eine Kombination aus 1. und 2.

Ich würde Ihnen raten, diese Frage mit Ihrem behandelnden Psychiater zu besprechen, der Ihnen auch die für Sie besten Therapieoptionen, in Kenntnis Ihrer Erkrankung und Ihres Erkrankungsverlaufs, nennen kann.

Diane-Köse: Es hilft mir zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin, die schlechte Erfahrungen mit einem Generikum gemacht hat. Ich verstehe, dass die Kassen sparen wollen, aber so einfach ist das nicht, in Indien mal kurz was anmmischen lassen mit gleichem Wirkstoff. Am Ende ist das viel teurer für die Kassen, weil viele wieder stationär aufgenommen und neu eingestellt werden müssen. Leider ist es sehr schwer, Depressionspatienten zu bewegen, sich aufzulehnen. Sinnvoll wäre aus meiner Sicht, wenn Patienten, denen ein Generikum verordnet wurde, mit dem sie nicht zurechtkommen, eine entsprechende Mitteilung an das Bundesgesundheitsministerium schreiben (per e-mail) und zeitgleich bei ihrer Krankenkasse einen Klinikaufenthalt zu beantragen. Könnte das eine sinnvolle Aktion sein gegen die Generika-Lüge?

PROF. DR. MED. VOLZ: Es ist sicherlich sinnvoll, wenn Sie mit einer Behandlungsmethode nicht zufrieden sind, mit Ihrer Krankenkasse hierüber zu sprechen.

Generell von einer Generika-Lüge zu sprechen, halte ich, obwohl ich in diesem Punkt mich als durchaus kritisch Generika gegenüber sehe, allerdings für etwas zu pauschal, wenn ich so offenherzig antworten darf.

Das Problem besteht auch nicht so sehr im Generikum an sich, sondern vielmehr im Wechsel vom Originalpräparat zu einem Generikum 1, dann, einige Zeit später, zu einem anderen Generikum usw. usw.
 
Ich glaube mich zu entsinnen, dass in der letzten Experten-Sprechstunde vor einer Woche zum Thema Depression, diese Thematik schon einmal angeklungen ist. Es gibt den Begriff der Bioverfügbarkeit, der umreißt, wieviel der eingenommenen Substanz tatsächlich im Blutplasma über eine bestimmte Zeit betrachtet auftaucht. Ein Generikum muss hier eine Bioverfügbarkeit zwischen 80 und 125 % des Originalpräparats aufweisen, damit es zugelassen werden kann. Es könnte also, es folgt ein konstruiertes Beispiel, sein, dass Sie vom Originalpräparat (Bioverfügbarkeit definitionsgemäß 100 %) auf Generikum 1 umgestellt werden (Bioverfügbarkeit angenommen 82 %), dann nach einiger Zeit auf Generikum 2 (angenommene Bioverfügbarkeit 120 %). Es könnte dann sein, dass Sie unter Generikum 1 zu wenig Substanz in Ihrem Blut haben und eine Wirkungsverminderung oder ein Wirkungsverlust der Substanz droht, unter Generikum 2 könnten aufgrund des erhöhten Plasmaspiegels vermehrt unerwünschte Wirkungen auftreten. Diese Problematik ist von Medikament zu Medikament aber getrennt zu betrachten und zu bewerten.

Fahning: Es ist erschreckend, dass man heute zwar sagen kann, man geht zu einem Psychotherapeuten, zu einem Coach oder was auch immer und dies wird endlich gesellschaftlich akzeptiert. Aber sobald es um psychiatrische Medikamente geht, ist das Tabu wieder da. Ich habe leider keine Möglichkeit mich in einer Talkshow zu „outen“, möchte aber als Betroffener dazu beitragen, dass dieses Tabuthema „gesellschaftsfähig“ wird?

PROF. DR. MED. VOLZ: Vielen Dank für diese Frage oder dieses Statement. Ich kann Ihnen hier nur zustimmen. Ich bin der Meinung, dass therapeutische Optionen wertneutral betrachtet werden sollten und Bewertungsgrundsätze wie Wirksamkeit und unerwünschte Wirkungen generell angelegt werden, also sowohl was Psychotherapien wie auch, was antidepressive Pharmakotherapien betrifft.  
 
Schwieriger ist es zu beantworten, was Sie als Betroffener hierzu direkt tun können, ohne sich in einer Talkshow zu outen. Aber vielleicht könnten Sie über Leserbriefe und in Ihrem persönlichen Bekanntenkreis durchaus Ihre Meinung offen vertreten.  
 
Zu dem betrachten auch die meisten Psychiater Methoden unter den genannten gleichen Beurteilungskriterien.

Bea.Otto: Brintellix soll einen multimodalen biochemischen Wirkmechanismus im Gehirn haben. Kann der Experte das einmal übersetzen, was das genau bedeutet? Danke

PROF. DR. MED. VOLZ: Ich kann versuchen, das zu übersetzen, mal schauen, ob es mir gelingt. Zunächst einmal könnten Sie im Archiv dieser Seite unter Depressionen 1 nachschauen, dort bin ich schon einmal auf diese Frage eingegangen.

Vortioxetin, der Inhaltsstoff von Brintellix, wirkt zum einen hemmend auf die Serotonin-Wiederaufnahme in Nervenzellen, also so, wie andere Serotonin-Wiederaufnahmehemmer auch, beispielsweise Citalopram, Escitalopram oder Sertralin. Zusätzlich zu diesem Wirkmechanismus wirkt es an bestimmten Serotoninrezeptoren ähnlich wie Serotonin, an anderen Serotoninrezeptoren verhindert es, dass Serotonin dort wirken kann (Agonismus / Antagonismus). Wenn ein Antidepressivum mehrere Wirkmechanismen besitzt und an mehreren Wirkorten diese Wirkmechanismen entfaltet, wie beispielsweise Vortioxetin, spricht man, der Defenition eines englischen Pharmakologen folgend, von multimodal.

Kurth: Ich bin langjähriger Therapie-Patient. Anfangs hat das geholfen und mich auf den Weg gebracht. Ohne Frage. Aber dann bin ich jahrelang dahin gegangen, ohne, dass mich das weiter vorangebracht hat, zumindest habe ich das so empfunden. Ich war nur zu unsicher und ängstlich von mir aus zu sagen, ich will damit aufhören. Aus meiner heutigen Sicht finde ich es allerdings dringend erforderlich, dem linksideologisierten Psychotherapeuten-Konglomerat wissenschaftlich entgegenzutreten und die Bedeutung richtiger Medikation klar zu machen, wenn es um eine mittelschwere Depression geht. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das viel wichtiger ist, als eine dauer-psychotherapeutische Behandlung. Ich habe das Vertrauen in die Psychotherapie verloren. Ist meine Bitterkeit Ausdruck falscher Therapie oder Gesundung, weil ich jetzt wieder Kraft habe und mitten im Leben stehe?

PROF. DR. MED. VOLZ: Ehrlich gesagt freue ich mich vor allen Dingen, dass es Ihnen offensichtlich wieder gut geht. Das ist doch echt klasse!

In der Regel dauern Psychotherapien heute nicht mehr so lange, wie dies wohl in Ihrem Fall gegeben war. Eine übliche "Dosis" sind 40 Stunden. Es gibt dann noch die Möglichkeit der Verlängerung, dann sollte allerdings ein Therapieerfolg spätestens erfolgt sein oder man sollte, in Analogie zu pharmakotherapeutischen Ansätzen über eine Änderung der Therapie intensiv nachdenken.

Ich erlebe Psychotherapeuten, da bin ich etwas anderer Meinung als Sie, nicht als ideologisiert, allerdings sind sie durchaus von der Richtigkeit ihrer Therapiemethode überzeugt.  
 
In den letzten Jahren werden die psychotherapeutischen Ansätze einer immer strengeren wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen, was mit der Zeit wahrscheinlich auch zu einer gewissen Modifikation psychotherapeutischer Empfehlungen und Verfahren führen wird.

Birte-W: Wie schädlich sind Antidepressiva, wenn man sie über Jahre oder gar Jahrzehnte nimmt für die Organe?

PROF. DR. MED. VOLZ: Das kann man so pauschal leider nicht beantworten. Das liegt daran, dass es ganz unterschiedliche Antidepressiva gibt. Für die meisten Antidepressiva, insbesondere den neueren Antidepressiva, liegen Erfahrungen über jahrelange Anwendungen durchaus vor, ohne dass, global gesprochen, Hinweise für gravierende Schädigungen gefunden wurden.

Für einige Antidepressiva sollte insbesondere  die Leberfunktion regelmäßig überwacht werden, für andere die Herzreizleitung.

Das gravierendste Problem stellt wohl die Gewichtszunahme unter einer Reihe, bei weitem aber nicht unter allen, Antidepressiva dar (z. B. Mirtazapin, Amitriptylin, Doxepin). Ein erhöhtes Körpergewicht kann zu einer Reihe von Folgeschäden führen. Denken Sie nur an das erhöhte Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder an einer Zuckererkrankung zu erkranken.  
 
Ich möchte an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, dass Antidepressiva zu keiner Abhängigkeit führen.

Rose.Lucht: Was ist das Neue an Brintellix,/Vortioxetin? Für wen ist das Medikament besonders geeignet? Bin eigentlich gut eingestellt, suche aber mittelfristig nach einem Weg, irgendwie von dem ganzen runterzukommen. Eignet sich Brintellix später gut zum ausschleichen?

PROF. DR. MED. VOLZ: Weiter oben habe ich versucht, den Wirkmechanismus von Vortioxetin zu erklären, das Unterscheidungsmerkmale zu anderen Antidepressiva ist die dort erwähnte Multimodalität. Das Medikament scheint besonders geeignet zu sein, wenn so genannte kognitive Störungen im Rahmen der Depression vorkommen, was bei über 50 % der Depressiven in unterschiedlichem Maß der Fall ist. Unter kognitiven Störungen versteht man im Wesentlichen Konzentrationsminderungen, Minderungen der Merkfähigkeit sowie Einschränkungen in der Erfassung und Analyse komplexer Situationen.  
 
In diesem Bereich ist die Wirksamkeit von Vortioxetin im Vergleich zu anderen Antidepressiva deutlich besser untersucht.

Mir sind keine Befunde bekannt, dass mit Vortioxetin leichter ausgeschlichen werden kann als mit anderen Antidepressiva.

Wenn Sie derzeit gut eingestellt sind, rate ich Ihnen von einem Medikamentenwechsel ab, ein solcher Wechsel ist immer mit dem Risiko verbunden, dass das dann neu gegebene Antidepressivum nicht so gut wirkt, wie das bei Ihnen seit vielen Jahren bewährt wirkende Antidepressivum.

Moderator: Wenn Sie sich gefährdet fühlen, sich selbst oder anderen Personen etwas anzutun, rufen Sie bundesweit 110 oder die Telefon-Seelsorge 0800 – 111 0 111 (evangelisch) und 0800 – 111 0 222 (katholisch) an.

John_Greiner: Ich bin 48, habe seit 10 Jahren wiederkehrende generalisierte Angststörung mit depressiven Symptomen. Sehr ausgeprägt sind bei mir körperliche Schmerzen, Druck in der Brust, im Bauch, Angst, Schweiß, Zittern und deshalb wurde mir Cymbalta verschrieben, wurde gesagt, soll besonders geeignet sein für mich. Und das war es dann auch. Ich war monatelang symptomfrei! Aber das ist ein teures Originalmedikament. Dann wurde ich umgestellt auf ein Sertralin-Generikum. Seither geht es mir schlecht. Ich wurde nicht gefragt, ich bekam die Umstellung so richtig bastamäßig. Es geht mir nicht durchgängig schlecht, aber eben nicht durchgängig stabil. Geht es mir gut, bin ich kämpferisch und erwäge, gegen meine Krankenkasse (DAK) juristisch vorzugehen? Habe ich überhaupt Aussicht auf Erfolg? Oder ist der kürzere Weg ein Arztwechsel?

PROF. DR. MED. VOLZ: Hier liegt meiner Meinung nach nicht der typische Fall der Umstellung auf ein Generikum vor. Der Inhaltsstoff von Cymbalta ist Duloxetin. Diese Substanz wirkt als Wiederaufnahmehemmer von Serotonin und Noradrenalin. Sertralin, die Substanz, die Sie im Moment wohl erhalten, ist ein reiner Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, wirkt also ausschließlich als Wiederaufnahmehemmer von Serotonin, die Wiederaufnahme von Noradrenalin bleibt unter Sertralin unbeeinflusst. Sie hätten also auf ein Duloxetin-Generikum umgestellt werden sollen, nicht auf eine pharmakologisch anders wirkende Substanz.  
 
Hierüber sollten Sie tatsächlich mit Ihrem Arzt sprechen, die Krankenkasse hat auf eine solche "Umstellung" keinen Einfluss, da Sertralin anstatt von Duloxetin bzw. Cymbalta auf dem Rezept vermerkt gewesen sein muss.

Gerade fällt mir ein, dass es sein könnte, dass es zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie Sertralin anstelle von Cymbalta erhalten haben, noch kein Generikum von Cymbalta gegeben haben könnte, solche Generika sind erst seit relativ kurzer Zeit verfügbar, da erst kürzlich das Patent von Cymbalta ausgelaufen ist.

Kury: Wie heißen die Hauptwirkstoffe, die nachweislich eine starke antidepressive Wirkung gegenüber Placebo haben? Was wirkt und was ist nur Geschäftemacherei?

PROF. DR. MED. VOLZ: Alle zugelassenen Antidepressiva haben Ihre Wirksamkeit gegenüber Placebo demonstriert, sonst hätten sie keine Zulassung erhalten.

Insofern kann ich jetzt gar nicht weiter detailliert auf Ihre Frage eingehen, man könnte höchstens ergänzend überlegen, ob es Antidepressiva gibt, die etwas wirksamer sind als andere Antidepressiva. Hier gibt es unterschiedliche Meinungen, eine große zusammenfassende, viele Einzelstudien einschließende Auswirkung hat ergeben, dass Mirtazapin, Escitalopram, Venlafaxin sowie Sertralin etwas wirksamer als andere Antidepressiva sein könnten.

Mit ganz wenigen Ausnahmen sind Antidepressiva Generika, so dass die zu erzielenden Gewinne eher begrenzt sind. Mittlerweile ist es so schwierig geworden, ein neues Antidepressivum als Originalpräparat zu einem höheren Preis dauerhaft auf den Markt zu bringen, das sich eine Reihe von großen pharmazeutischen Firmen nicht mehr in der Lage sieht, in diesem Bereich umfangreiche wissenschaftliche Studien durchzuführen. Dies könnte, so vermuten Kollegen, die sich hier besonders gut auskennen, mit der Zeit dazu führen, dass so genannte Innovationen in diesem so wichtigen Bereich der Medizin selten werden.

MODERATOR: Der Experte macht eine kurze Pause. Wir setzen die Beantwortung Ihrer Fragen in wenigen Minuten fort.

Moderator: Wenn Sie sich gefährdet fühlen, sich selbst oder anderen Personen etwas anzutun, rufen Sie bundesweit 110 oder die Telefon-Seelsorge 0800 – 111 0 111 (evangelisch) und 0800 – 111 0 222 (katholisch) an.

L_Kaminsky: Vortioxetin ist revolutionär sein und angeblich zu einem Spottpreis zu haben. Wie kommt das? Was ist mit den immer wieder erwähnten Entwicklungskosten? Muss ich mir als Patientin Sorgen machen, dass Unternehmen aufhören zu forschen?

PROF. DR. MED. VOLZ: Von revolutionär würde ich nicht sprechen. Wie ich schon mehrfach dargelegt habe, stellt es einen Fortschritt dar, es gibt in der Pharmakologie die Begriffe Schritt- und Sprung-Innovation. Mit einer Schrittinnovation ist ein Fortschritt zu verstehen, der spürbar ist, aber keine vollständig neuen therapeutischen Optionen eröffnet, genau letzteres ist bei einer Sprunginnovation der Fall. Ich würde denken, Vortioxetin ist eine Schrittinnovation.

Was ein Spottpreis ist, ist natürlich der persönlichen Bewertung unterworfen. Vortioxetin kostet etwas weniger als die anderen patentgeschützten Antidepressiva, aber mehr als die Generika.

Durch verschiedene gesetzliche Regelungen, vor allem durch das so genannte AMNOG, ist es wesentlich schwieriger geworden, Originalpräparate zu einem deutlich höheren Preis als Generika im Markt zu halten. Dies kann in der Tat bei den pharmazeutischen Unternehmen zu einer Neubewertung der Investitionen führen.

Katrin: Wenn ich lese, dass in Deutschland fünf Millionen Menschen von einer behandlungsbedürftigen Depression betroffen sind und jetzt durch die vielen traumatisierten Flüchtlinge sicher noch viel mehr hilfsbedürftige Menschen eine psychotherapeutische und psychiatrisch-medikamentöse Behandlung brauchen, dann frage ich mich, wie das gehen soll??? Kriegen wir jetzt wegen Versorgungsmängeln eine Selbstmord-Rate wie in Griechenland?

PROF. DR. MED. VOLZ: Es wird ja viel über die medizinische Versorgung in Deutschland geklagt, zum Teil sicherlich zu recht. Aber im Vergleich zu anderen Ländern ist die medizinische Versorgung, auch die psychiatrische / psychotherapeutische Versorgung, sehr gut.

Auf der anderen Seite ist es in der Tat schwierig, jedem Patienten mit einer behandlungsbedürftigen Depression eine angemessene Behandlung zukommen zu lassen und in der Tat benötigen auch eine große Zahl der Flüchtlinge intensive medizinische Hilfe, auch psychiatrische und psychotherapeutische.

Was Depressionen betrifft, ist diese Versorgungsaufgabe nur leistbar, wenn die Hausärzte die unkomplizierteren Fälle selbst behandeln. Ein Großteil der Weiterbildungsanstrengungen in diesem Bereich richtet sich darauf, hier die sicherlich jetzt schon gute Kompetenz der Hausärzte weiter zu verbessern.

Es wird sicherlich nicht möglich sein, jedem an einer Depression leidenden Patienten, eine so genannte Richtlinien-Psychotherapie angedeien zu lassen. Hierfür ist die Zahl der Therapeuten, die sich in den letzten Jahren deutlich erhöht hat, zu gering.

Ölkers: Ich bin zur Symptombekämpfung einer Depression/Angststörung von dem Medikament Tavor abhängig geworden. Der Entzug war ein Albtraum und hat mich an den Rand meiner Existenz gebracht. Ich werde dieses Zeug NIE wieder nehmen. Trotzdem weiß ich, dass Tavor pausenlos eingesetzt wird. Sind die Leute alle abhängig, ohne es zu wissen? Warum muss eigentlich ein Entzug erfolgen? Ist Tavor schädlich für die Organe? Sind Antidepressiva so viel „gesünder“? Unter Tavor fühlte ich mich besser und stärker.

PROF. DR. MED. VOLZ: Das ist eine vielschichtige Frage. Ich versuche auf die wichtigsten Aspekte einzugehen.

Zunächst beschreiben eindrücklich, wie schwierig es ist, bei einer Benzodiazepin-Abhängigkeit von diesen Substanzen wieder loszukommen. Dies sollte jedem klar sein, der solche Substanzen verordnet.

Auf der anderen Seite entwickelt nicht jeder Patient, der über eine gewisse Zeit Benzodiazepine erhält, eine Abhängigkeit. Zudem sind Benzodiazepine sehr wirkstarke Medikamente, insbesondere bei Angst. Wenn Angst im Rahmen von psychiatrischen Erkrankungen auftritt und eine rasche Hilfe notwendig ist, sind diese Substanzen für den kurzfristigen Gebrauch angebracht.

Unbedingt muss allerdings eine langfristige Gabe von Benzodiazepinen vermieden werden. Ein Entzug sollte vor allen Dingen deswegen erfolgen, da die Einnahme von Benzodiazepinen gravierende Nachteile mit sich bringen kann, weiter oben habe ich bei einer etwas älteren Teilnehmerin unserer Runde schon auf die erhöhte Gefahr von Stürzen hingewiesen. Wichtig ist auch, dass Benzodiazepine kognitive Fähigkeiten, hier zu nennen ist vor allen Dingen die Merkfähigkeit, beeinträchtigen können.

Die Einnahme von Medikamenten ist im strengen Sinne nie gesund, es erfolgt immer eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Antidepressiva machen nicht abhängig, in diesem Bereich sind viel risikoärmer als Benzodiazepine, aber auch die Einnahme von Antidepressiva kann Nachteile haben. Es erfolgt dann eine Risikobewertung, ungefähr der Gestalt, dass die Nachteile in Kauf genommen werden, wenn die Vorteile, z. B. Vermeidung einer Wiedererkrankung an einer Depression, überwiegen.

Aurora: Wie hoch ist das Risiko, dass eine Depression wiederkommt? Hilft dann automatisch das Medikament vom ersten Mal auch beim Rückfall?

PROF. DR. MED. VOLZ: Diese Frage kann man relativ präzise beantworten. Wenn man erstmalig an einer depressiven Episode erkrankt, ist das Risiko, mindestens eine weitere depressive Episode zu bekommen, ca. 50 %. Sollte man bereits zwei depressive Episoden erlitten haben, steigt das Risiko, mindestens eine weitere depressive Episode zu erleiden, auf mindestens 70 bis 80 %, bei bereits erlittenen drei depressiven Episoden auf mindestens 90 %. Zudem werden, immer Durchschnitt betrachtet, die Zeiträume psychischen Wohlbefindens zwischen den einzelnen depressiven Episoden, von Wiedererkrankung zu Wiedererkrankung kürzer.  
 
In der Tat gibt man heute ab der zweiten oder dritten depressiven Episode aus der Überlegung heraus, dieses Rückfallrisiko zu vermindern, das  in der Akutphase wirkende Antidepressivum weiter. Hierbei ist allerdings darauf zu achten, dass die Tagesdosis nicht wesentlich reduziert wird.

Hiermit wird eine Wiedererkrankung nicht zu 100 % verhindert, allerdings wird das Risiko einer Wiedererkrankung wesentlich reduziert. Allerdings nur, wenn eine zuverlässige Antidepressivum-Einnahme garantiert ist.

Attar: Ich fühle mich gegenwärtig nicht in der Lage, mit einem Therapeuten ein Gespräch zu führen. Kann meine Verzweiflung nicht in Worte fassen. Ist zu groß. Helfen Medikamente auch ohne Psychotherapie?

PROF. DR. MED. VOLZ: Ich gehe davon aus, dass Sie an einer Depression leiden? Falls ja, so kann man zunächst pauschal Ihre Frage mit "ja" beantworten. Die meisten Antidepressiva-Untersuchungen haben die Wirksamkeit dieser Medikamente ohne die gleichzeitige Gabe von Psychotherapie untersucht. Auf der anderen Seite ist es so, dass beide Methoden zusammen angewendet, im Durchschnitt mitunter effektiver sind als die jeweilige einzelne Methode.

Pragmatisch würde ich sagen, dass ein pharmakotherapeutischer Versuch der Behandlung, bis Sie hoffentlich wieder besser in der Lage sind, mit Ihrem Therapeuten zu sprechen, zumindestens erwogen werden kann.

Narkus: Gibt es Erkenntnisse darüber, ob eine unbehandelte Depression schädlich ist für den Organismus und den außer Takt geratenen Hirnstoffwechsel im Speziellen?

PROF. DR. MED. VOLZ: Ja, darüber gibt es Untersuchungen. Bei einem Teil der Patienten geht die Depression mit einer erhöhten Kortisol-Ausscheidung in das Blut einher. Diese erhöhte Konzentration kann u. a. zu einer vermehrten Infektanfälligkeit führen, zum anderen wurde tierexperimentell direkt und beim Menschen indirekt gezeigt, dass dieses Kortisol auch direkt auf das Gehirn, hier besonders auf eine Struktur, die für Gedächtnisprozesse verantwortlich ist, wirkt, und zwar im Sinne einer Funktionsverminderung.

Daneben gibt es Vielzahl von Befunden, die zeigen, dass depressiv Erkrankte an häufigen Erkrankungen noch häufiger erkranken als die Durchschnittsbevölkerung, ich möchte nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes als prominente Beispiele benennen.

Köhndorf: Können sich aus einer normalen Depression weitere Erkrankungen wie eine bipolare Depression oder sogar eine Schizophrenie entwickeln?

PROF. DR. MED. VOLZ: Die erste Frage ist mit "ja" zu beantworten, die zweite Frage mit "nein". Lassen Sie mich das ein wenig ausführen:

Wenn ein Patient die erste, die zweite oder die dritte depressive Episode hat, kann man prinzipiell noch nicht sagen, ob er an einer so genannten rezidivierenden Störung leidet, d. h. immer wieder Depressionen bekommen wird, oder ob nicht die vierte Episode dann doch eine manische Episode ist, und schon müsste der Patient als bipolar diagnostiziert werden. Insofern ist es nicht selten, dass die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung in die Diagnose einer bipolaren Störung übergeht.  
 
Dieser nicht so seltene Übergang von einer Depression in eine bipolare Störung ist für den Übergang von einer Depression in eine Schizophrenie nicht beschrieben. Allerdings kann ein Patient, der bisher an einer Depression litt, durchaus auch eine Schizophrenie erleiden, aber damit ist das zufällige Zusammenkommen dieser beiden Erkrankungen gemeint.

Röber: Wieso wird in vielen Studien immer Venlafaxin 225 mg als Richtwert für eine stabile antidepressive Wirkung herangezogen? Citalopram, Escitalopram, (ich meine natürlich nur die Originalpräparate, nicht den Generika-Kram) haben doch ebenfalls stabile antidepressive Wirkungen. Warum vergleicht man neue Wirkstoffe nicht (auch) mit den genannten?

PROF. DR. MED. VOLZ: Mir ist nicht bekannt, dass in "vielen Studien" Venlafaxin 225 mg als Richtwert herangezogen wird, hier ist mir, wie gesagt, keine Gesetzmäßigkeit bekannt. Zudem ist Venlafaxin ja häufig auch in niedrigeren Dosen, beispielsweise 150 mg, wirksam.  
 
Wenn Sie Vergleichsgruppen bei Antidepressivastudien meinen, so finden dort auch unterschiedliche Substanzen Anwendung. Meiner Meinung nach in den letzten Jahren ganz besonders verstärkt Citalopram.

Male: Wie kann ich mein Übergewicht wirksam reduzieren, obwohl ich Antidepressiva nehmen muss? Kann ich überhaupt abnehmen, solange ich die nehme? Ich weiß, ich esse quantitativ zu viel, weiß aber nicht, wie ich das begrenzen könnte.

PROF. DR. MED. VOLZ: Was Sie ansprechen kann ein großes Problem unter Antidepressiva-Einnahme sein. Es kommt aber sehr darauf an, welches Antidepressivum Sie einnehmen. Manche Antidepressiva lösen beinahe regelhaft eine Appetit- und Gewichtszunahme aus, genannt seien Mirtazapin und Amitriptylin als Beispiele.

Bitte lassen Sie sich von Ihrem Arzt beraten, welches Antidepressivum in Ihrem Fall in Frage kommt, das nicht regelhaft eine solche Appetit- und Gewichtszunahme auslöst. Hier kämen beispielsweise Escitalopram, Venlafaxin, Argomelatin und eine Reihe weiterer Antidepressiva in Frage.

Tiede: Ich fühle mich kraftlos und leer. Der tägliche Kram ist mir zu viel. Ich bekomme nichts mehr hin und merke, wie sich langsam mein normales Leben auflöst. Ich habe schwerste Schlafstörungen und Schmerzen im ganzen Körper vor Anspannung. Der eine Spezialist sagt, es handele sich um eine Angsterkrankung, der Vorgänger war überzeugt von einer Depression. Woran wird das Eine oder Andere festgemacht?

PROF. DR. MED. VOLZ: Was Sie mir beschreiben, spricht ziemlich eindeutig für eine schwere Depression, soweit dies im Rahmen einer Internetsprechstunde beantwortbar ist. Ich kann Ihnen einfach mal die wichtigsten Symptome einer Depression nach dem gängigen Diagnosemanual nennen:

Hauptkriterien:
Gedrückte, depressive Stimmung, Interesse- und Freudlosigkeit sowie Antriebsmangel bzw. erhöhte Ermüdbarkeit.

Es werden dann so genannte Nebenkriterien unterschieden:
Kognitive Störungen, Verminderung des Selbstwertgefühls, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, negative Zukunftsgedanken, Selbsttötungsgedanken, Schlafstörungen und verminderter Appetit.

Das wären die Symptome für eine Depression.  
 
Sie fragten ja auch nach  den Symptomen einer Angsterkrankung. Hier möchte ich als Beispiel die generalisierte Angststörung anführen (es gibt aber auch noch andere Angststörungen):

Hier steht die übertriebene Besorgnis, verbunden mit Anspannung und vermehrter Schreckhaftigkeit im Zentrum, häufig treten auch hier Schlafstörungen auf.

Was die Sache noch komplizierter macht, ist, dass überzufällig häufig Depressionen mit Angststörungen gemeinsam vorkommen können.

PROF. DR. MED. VOLZ: Auch heute bedanke ich mich für die zahlreichen interessanten Fragen und die rege Teilnahme an dieser Sprechstunde. Zum Abschluss wünsche ich Ihnen allen einen angenehmen Abend.

Moderator: Wenn Sie sich gefährdet fühlen, sich selbst oder anderen Personen etwas anzutun, rufen Sie bundesweit 110 oder die Telefon-Seelsorge 0800 – 111 0 111 (evangelisch) und 0800 – 111 0 222 (katholisch) an.

PROF. DR. MED. VOLZ: Weitere Infos finden Sie auf www.antidepressivum.info und im Archiv von www.experten-sprechstunde.de.



Ende der Sprechstunde.