Multiples Myelom: Therapieoptionen beim Multiplen Myelom

Dr. med. Hans Salwender
Leitender Oberarzt
Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin

Asklepios Klinik Altona
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Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg

PROTOKOLL

Multiples Myelom: Therapieoptionen beim Multiplen Myelom

Annika-Lu: Ich bin in einer Cortison-Behandlung wegen einer MM-Erkrankung und muss immer so viel weinen. Dabei geht es mir eigentlich so gut wie lange nicht. Diese Instabilität hatte man mir zwar vorausgesagt, aber wenn das da ist, ist das für die ganze Familie schrecklich. Was kann ich tun, um wieder fester in mir selbst zu werden? Meine Familie steht voll hinter mir, aber die Kräfte von uns allen werden weniger. Ich merke das.

DR. SALWENDER: Grundsätzlich kann eine Steroid- oder, wie Sie sagen, Cortisonbehandlung eine Stimmungsschwankung bzw. im Extremfall eine Depression auslösen. Dies ist allerdings, je nach Grad der Ausprägung, seltener. Häufig berichten Patienten von "Aufgekratztsein" oder "Nicht-Schlafen-Können". Zunächst sollte abgewogen werden, ob tatsächlich ein Zusammenhang mit der Steroid-Therapie besteht, z. B. durch einen zeitlichen Zusammenhang oder, ob Ihnen eine unterstützende psychologische Betreuung nützlich bzw. dienlich wäre. Sollte sich doch ein starker Zusammenhang mit der Steroid-Therapie zeigen und Sie bzw. Ihre ganze Familie darunter leiden, könnte man z. B. die Dosis bzw. die Verabreichungstage variieren und je nach dem bei Ihnen eingesetzten Protokoll auch ganz auf das Steroid bzw. Cortison verzichten.

Meggi: Eigentlich hatten wir keine Veränderung bei meinem Vater festgestellt und deshalb traf uns die Diagnose völlig unvermutet. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber ist das Multiple Myelom eine Erkrankung, die einfach so festgestellt werden kann, wenn man wegen was ganz anderem zum Arzt geht, ohne dass man etwas schlimmes vermutet? Mein Vater fühlte sich weder eingeschränkt noch schlecht.

DR. SALWENDER: Das multiple Myelom ist eine sehr seltene Erkrankung, weswegen in aller Regel bei fehlenden Symptomen nicht speziell daraufhin untersucht wird. Bei einem Großteil der Patienten wird die Erkrankung diagnostiziert im Rahmen  der Abklärung von lange bestehenden Knochenschmerzen oder einer Nierenfunktionseinschränkung. Tatsächlich wird die Erkrankung bei einem Teil der Patienten - wie bei Ihrem Vater - aber auch nur zufällig entdeckt. Dies war früher häufiger, z. B. bei der Bestimmung der so genannten Blutsenkungsgeschwindigkeit. Heutzutage können aber im Rahmen einer Routinelaboruntersuchung immer noch Veränderungen des roten Blutfarbstoffs, des Kreatinins oder der Eiweißzusammensetzung Hinweise auf die Erkrankung geben. Meist wird die Erkrankung dann in einem sehr frühen Stadium diagnostiziert, welches oftmals zunächst nicht behandelt werden muss.

Cologne: Ist das auch wieder eine Krankheit, die durch unseren westlichen Lifestyle ausgelöst wird, oder warum steigen die Zahlen so sehr und damit die persönliche Gefährdung? Ich kann das nämlich langsam nicht mehr hören mit dem Lifestyle.

DR. SALWENDER: Es gibt Untersuchungen an mehrere tausend Jahre alten Knochen in den USA, die bereits für diese Erkrankung bei den betroffenen Menschen sprechen. Die erste Beschreibung dieses Krankheitsbildes stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Zunahme der Häufigkeit der Erkrankung liegt meines Erachtens an der besseren bzw. früheren und schnelleren Diagnostik auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch daran, dass die erkrankten Patienten länger leben als früher und somit zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Menschen mit dieser Erkrankung leben. Ein Beispiel sei genannt: Eine 90-jährige Frau mit Rückenschmerzen, dicken Beinen und zunehmender Schwäche und Abgeschlagenheit. Vor einigen Jahrzehnten hätte man  das möglicherweise unter "das Alter" abgetan und die Patientin wäre in kurzer Zeit an "Altersschwäche" gestorben. Heute machen wir eine Blutuntersuchung, finden eine verminderte Blutmenge und eine eingeschränkte Nierenfunktion, röntgen die Wirbelsäule und finden Knochendefekte, diagnostizieren das multiple Myelom und behandeln die Patientin, wenn sie sich sonst in einem guten Zustand befindet, mit einer gut verträglichen Therapie.

Sölter_T: Gegen die wirklich starken Knochenschmerzen nehme ich Ortoton, Imbun 500 und Novalgin ein. Wäre ein Morphiumpflaster gefährlich bei MM mit Blick auf die Knochen?

DR. SALWENDER: Die Art der Verabreichung des Morphiums ist nicht gefährlich mit Blick auf die Knochen. Es gibt Vor- und Nachteile für die Tabletten bzw. das Pflaster. Diese reichen von besserer Steuerbarkeit bis hin zu den Kosten. Grundsätzlich besteht bei der Verwendung der Morphiumpflaster das Risiko einer zeitweise beschleunigten Aufnahme des Präparats, wenn die Haut  stärker durchblutet ist, z. B. bei Fieber oder, wenn Sie sich in der Sauna befinden. Hierbei könnte es grundsätzlich zu einer Überdosierung kommen. Auf der anderen Seite ist die Handhabung des Morphiumpflasters möglicherweise einfacher als das Schlucken von Tabletten.

Petra-Maiki: Gibt es einen Richtwert (im Blut oder im Urin) wann Bedarf besteht eine Knochenmarkpunktion durchzuführen?

DR. SALWENDER: Die Knochenmarkpunktion wird in erster Linie durchgeführt zur Stellung der Diagnose des multiplen Myeloms. Beim multiplen Myelom gibt es ein Stadium, welches nicht behandelt werden muss sowie eines, bei der eine zeitnahe Therapie empfohlen wird. Im seltenen Fall, dass bei der Knochenmarkpunktion ein Befall des Knochenmarks von über 60 % durch Plasmazellen vorliegt, besteht allein aufgrund der Knochenmarkuntersuchung die Veranlassung zu behandeln. In allen anderen Fällen wird mit der Knochenmarkuntersuchung die Diagnose gestellt und der Zeitpunkt der Behandlungsbedürftigkeit allein durch Blut oder Röntgenuntersuchungen festgelegt. Das Ausmaß des Knochenmarkbefalls kann - je nach Fall mehr oder minder wichtig - zur Verlaufsbeurteilung der Therapie herangezogen werden. D. h. der Knochenmarkbefall geht zurück, spricht für eine erfolgreiche Therapie, der Knochenmarkbefall bleibt gleich, spricht gegen eine erfolgreiche Therapie. Bei sehr vielen Patienten erfolgt die Verlaufsbeurteilung über lange Phasen der Therapie jedoch ohne wiederholte Knochenmarkpunktion. Darüber hinaus kann, insbesondere bei Neudiagnose, versucht werden, anhand einer Knochenmarkpunktion eine genetische Analyse der Plasmazellerkrankung durchzuführen, um die Aggressivität der Erkrankung abschätzen zu können. Da dies für die allermeisten Patienten außerhalb von Studien heutzutage allerdings noch keinen Einfluss auf die Therapieauswahl hat, wird auf diese genetische Untersuchung von vielen Ärzten auch verzichtet.

Kauther: Ist eine andere Krebserkrankung in der Familie ein Risikofaktor für ein zusätzliches Multiples Myelom?

DR. SALWENDER: Tatsächlich kann eine Myelomerkrankung oder eine dem Myelom verwandte Krebserkrankung das Risiko für ein multiples Myelom bei nahen Verwandten erhöhen.

Fussballfan: Bietet eine Chemotherapie in der Bekämpfung einer Multiplen Myelomerkrankung überhaupt die Chance auf Heilung?

DR. SALWENDER: Ein Patient mit multiplem Myelom, der heute neu erkrankt, hat eine große Chance, zehn Jahre zu überleben. Je nach Erkrankungsalter kann dies bedeuten, dass der Patient nicht an seinem multiplen Myelom, sondern an einer anderen Erkrankung verstirbt. Wir haben tatsächlich Patienten, die nach einer Hochdosis-Therapie über 15 Jahre und mehr keinen Rückfall erlitten haben. Da diese Behandlung in großem Umfang erst seit ca. 20 bis 25 Jahren durchgeführt wird, sind die Erfahrungen, wie viele Patienten 25 Jahre nach Hochdosis-Therapie keinen Rückfall haben gering. Man kann nun also, wenn man ganz genau sein möchte, nicht sagen, ob ein Patient, der bis heute keinen Rückfall hat, nicht irgendwann in den nächsten Jahren einen Rückfall erleiden wird. Aber, um es nochmal zu sagen, wir haben einen zunehmend größeren Teil an Patienten, bei dem die Erkrankung nach der Therapie komplett verschwunden ist und die über "viele" Jahre keinen Rückfall erleiden. Nebenbei gibt es Patienten, bei denen die Erkrankung praktisch wieder in eine Frühphase zurück versetzt wird, die keine Therapie erfordert und mit der die Patienten wiederum sehr sehr lange leben können. Ich persönlich habe eine Reihe von Patienten, die durch die erfolgreiche Myelombehandlung nicht mehr unter ihrem Myelom litten und im fortgeschrittenen Alter an einer ganz anderen internistischen Erkrankung verstarben.

In der inneren Medizin sind, außer den Infektionskrankheiten, fast gar keine Krankheiten "heilbar". Unser Ziel ist es, für den größten Teil der Patienten die Myelomerkrankung wie eine der anderen chronischen Erkrankungen zu sehen und zu behandeln, dass nämlich die krankheitsbedingten Erscheinungen beseitigt werden und die Therapie langfristig mit wenigen unerwünschten Begleiterscheinungen durchgeführt werden kann.

Juliane: Ich quäle mich mit einer ganz schwierigen Frage. Meine Mutter ist an einem Multiplen Myelom erkrankt. Es scheint, dass die Krankheit schon länger bestand bevor sie entdeckt wurde. Das hat dazu geführt, dass ihre Nieren Schaden genommen haben. Sie wird nun dialisiert, was eine zusätzliche große Belastung ist. Eigentlich kommt sie kaum noch zum Durchatmen, weil die ganze Woche irgendwelche Dinge gemacht werden. Um sie zu entlasten trage ich mich mit dem Gedanken, ihr eine Niere zu spenden. Meine Mutter ist 64 Jahre. Ich bin 35 Jahre, sportlich und komplett gesund. Könnte ihr das entscheidend helfen? Ich muss dazu sagen, dass sie das nicht will.

DR. SALWENDER: Meines Wissens ist dies gar nicht möglich, da Ihre Mutter an einer bösartigen Erkrankung leidet. Darüber hinaus ist das Problem, dass auch die von Ihnen gespendete Niere vermutlich durch die Erkrankung, durch Infektionen, vielleicht durch die Therapie, Schaden nehmen kann. Weiterhin ist zu bedenken, dass nach einer solchen Transplantation, wenn sie denn theoretisch durchgeführt werden würde, eine anschließende langfristige medikamentöse Schwächung des Immunsystems notwendig wird, die das ohnehin schon hohe Risiko für schwerwiegende Infektionen bei Ihrer Mutter weiter erhöhen würde. Somit, nochmals, meines Erachtens kommt diese Option nicht in Frage.

Ansgar: Leider komme ich für eine Hochdosis-Chemo nicht in Frage, warum habe ich nicht ganz verstanden, aber so wurde es uns gesagt. Jetzt gibt es als Alternative eine Thalidomid-Therapie. Ich bin die Generation, die den Contergan-Skandal ganz nah miterlebt hat und bei mir gehen alle Warnlampen an. Ich vertraue darauf, dass diese Empfehlung gut ist für mich, aber mich treibt die Angst um, dass ein Restrisiko da ist, wodurch ich möglicherweise zusätzliche Schädigungen erleiden könnte. Denn wenn es nur um die Hemmung von Gefäßwachstum geht, gibt es da doch auch andere wirksame Behandlungsmöglichkeiten.

DR. SALWENDER: Zunächst muss man sagen, dass Thalidomid bzw. Contergan in den 60er Jahren so hervorragend vertragen wurde, dass es millionenfach in Deutschland verkauft wurde. Zu spät hat man allerdings bemerkt, dass es katastrophale Schäden bei schwangeren Frauen bzw. den Kindern anrichtet. Es muss somit auch heute absolut verhindert werden, dass dieses Präparat einer schwangeren Frau zugeführt wird. Diese Sorge geht soweit, dass auch Männer bzw. Myelom-Patienten, die dieses Präparat erhalten, kein Blut oder Sperma spenden dürfen und beim Verkehr mit gebärfähigen Frauen 100 % verhüten müssen. Davon abgesehen, aber nochmal, war das Präparat damals deswegen so überragend, weil es so gut vertragen wurde. Beim multiplen Myelom setzen wir das Thalidomid bereits seit Mitte der 90er Jahre ein und haben gelernt, dass insbesondere bei höherer Dosierung es zu Nervenschäden kommen kann, die sich meist durch Taubheit von Händen und Füßen, Darmträgheit und einen langsamen Herzschlag bemerkbar machen. Bei vorsichtigem niedrig dosierten Einsatz und regelmäßiger Kontrolle des Patienten halten sich diese unerwünschten Wirkungen bei den meisten Patienten aber in Grenzen. Die andere Seite ist die Frage nach der Hochdosis-Therapie. Die meisten mir bekannten Leitlinien empfehlen eine Hochdosis-Therapie bei Patienten bis ca. 70 Jahre. Hierbei wird immer auf das so genannte biologische Alter verwiesen, also nicht auf das Alter in Ihrem Personalausweis, sondern das Alter gemessen an Ihrer Fitness. Also, es kommt eher der topfitte 71-jährige in Frage als der 52-jährige mit langjährigem ausgeprägten Alkohol- und Nikotinmissbrauch. Das Problem ist, dass vor einigen Jahren die Daten für ältere Patienten mit Hochdosis-Therapie spärlich waren, weswegen einige den Nutzen der Hochdosis-Therapie bei älteren Menschen in Frage stellen. Auch einige Krankenkassen verweisen auf eine Studie aus Frankreich, die vor zehn Jahren durchgeführt wurde und die vermeindlich zeigte, dass eine Thalidomid-Therapie einer Hochdosis-Therapie überlegen ist. Diese Studie und insbesondere diese Interpretation halte ich persönlich jedoch für sehr fragwürdig.  

Zum Thema Alter und Hochdosis-Therapie sei aber auch zu bedenken, dass ab einem bestimmten Alter der Therapieerfolg, den man sich von einer Hochdosis-Therapie erhoffen kann, auch durch eine konventionelle Therapie erreicht werden kann. Wenn z. B. die Lebenserwartung des Patienten, unabhängig vom multiplen Myelom, aufgrund anderer Erkrankungen eingeschränkt ist. Die Hochdosis-Therapie ist dann nicht "nicht durchführbar", sondern das Verhältnis von Nutzen zu Risiken ist bei diesen Patienten ungünstig.

MODERATOR: Der Experte setzt die Beantwortung Ihrer Fragen in wenigen Minuten fort.

Koblenz: Welche Lebensqualität ist mit einem multiplen Myelom zu erreichen nach Chemotherapie? Was sagt die Statistik? Wie häufig treten Rückfälle nach Chemo auf?

DR. SALWENDER: Dies ist eine sehr schwierige Frage. Ganz entscheidend hängt die Lebensqualität davon ab, welche Beschwerden zu Beginn der Erkrankung bestehen. Sind z. B. schon mehrere Knochenbrüche aufgetreten, die z. B. schwer zu reparieren sind, bestehen schwer zu behandelnde Knochenschmerzen, dann wird auch die Behandlung des multiplen Myeloms die Lebensqualität nur zum Teil verbessern können. Ganz anders sieht es aus, wenn die Erkrankung, wie heutzutage häufiger als früher, in einem Stadium entdeckt wird, wo noch gar keine Beschwerden bestehen. Aufgrund der Vielzahl der therapeutischen Möglichkeiten können wir die unerwünschten Begleiterscheinungen einer Therapie patientenindividuell relativ gut beeinflussen. Wenn z. B. der Verlauf der Erkrankung es zulässt, kann man mit einer niedriger dosierten Therapie, deren Beeinträchtigung der Lebensqualität nicht höher sein muss als die Behandlung des hohen Blutdrucks, ausreichend behandeln. Eine, wie Sie schreiben, Statistik spiegelt natürlich nicht die vielfältigen Möglichkeiten bzw. Ausprägungen der Erkrankung und der Reaktion des Körpers des Patienten auf die Therapie wieder.

Rückfälle nach Chemotherapie treten häufig auf, deshalb setzen wir zum einen hochdosierte Chemotherapie ein, in der Hoffnung, dass die Rückfälle erst nach mehreren bzw. nach vielen Jahren auftreten oder wir setzen eine Dauerbehandlung ein, wiederum wie bei der Behandlung z. B. des Bluthochdrucks, damit hiermit die Erkrankung über mehrere Jahre im Griff gehalten wird. Aber, wir haben heutzutage eine große Zahl von verschiedenen Substanzen zur Behandlung des multiplen Myeloms (mindestens zehn), die wir noch dazu in verschiedensten Kombinationen einsetzen können, so dass ein Rückfall nach Chemotherapie nicht das Ende der Therapie, schon gar nicht das Ende des Lebens, bedeutet, sondern in aller Regel nur den Wechsel der Therapie.

Ulli_Feindt: Stammzelltransplantationen haben stark zugenommen, jedenfalls stehe ich unter dem Eindruck. Aber wie verhält es sich mit den unterschiedlichen Arten der Stammzelltransplantation. Hat sich herausgebildet, dass eine Form besonders erfolgreich ist? Werden die möglicherweise chronologisch eingesetzt, wenn es beim ersten Versuch keinen Erfolg gab? Andererseits ist das derart belastend, dass mein Mann gesagt hat, ein zweites Mal wird es für ihn nicht geben.

DR. SALWENDER: Bei der Stammzelltransplantation beim multiplen Myelom spricht man fast ausnahmslos von der so genannten autologen Stammzelltransplantation, also der Übertragung eigener blutbildender Stammzellen. Diese Maßnahme für sich genommen ist keine Behandlung, sondern erlaubt die eigentliche Behandlung, nämlich die hochdosierte Gabe einer bestimmten Chemotherapie, praktisch immer Melphalan. Weil diese Therapie so erfolgreich und risikoarm durchgeführt werden kann, nimmt die Zahl dieser Behandlungen tatsächlich in den letzten Jahren immer mehr zu. Verschiedene Studien haben darüber hinaus gezeigt, das auch ältere Patienten von dieser Therapie profitieren können und insbesondere die Therapie nicht riskanter sein muss, als bei jüngeren Patienten, wenn die Patienten vorher von einem erfahrenen Arzt für Stammzelltransplantation ausgewählt wurden. Es wird zeitweilig eine geringere Dosis des Melphalans verwandt, z. B. bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Ganz im Gegensatz dazu, handelt es sich bei der so genannten allogenen Stammzelltransplantation um die Übertragung von Stammzellen eines Spenders. Diese Behandlung ist mit einem deutlich höheren Risiko verbunden und der Nutzen ist Inhalt von Diskussionen. Insbesondere im Licht der neuen sehr erfolgreichen Substanzen bzw. Behandlungsmöglichkeiten wird der Einsatz dieser letztgenannten Behandlung zurückhaltend gesehen. Allenfalls sollte  diese Therapie im Rahmen von Studien durchgeführt werden.

Ob eine zweite Stammzelltransplantation empfohlen bzw. durchgeführt wird, hängt von mehreren Faktoren ab, insbesondere vom Erfolg, insbesondere der Zeit der Krankheitsfreiheit, der Therapie und der unerwünschten Begleiterscheinungen. Sollte, wie offensichtlich bei Ihrem Mann, die Therapie schlecht vertragen worden sein und nur für wenige Jahre eine Therapiefreiheit beschert haben, dann wäre auch ich mit einer zweiten Behandlung zurückhaltend. Dies ist insbesondere heutzutage im Zusammenhang mit den vielen neuen alternativen Möglichkeiten zu sehen.

Johannes: Wie viele Rückfälle verkraftet ein Patient nach den Erfahrungen des Experten? Mein Vater ist 72 J. erster Rückfall.

DR. SALWENDER: Die Erkrankung ist bei jedem Patienten unterschiedlich. Ebenso kann jeder Rückfall bei einem individuellen Patienten unterschiedlich verlaufen. Somit ist Ihre Frage nicht einfach mit einer Zahl zu beantworten.
In der täglichen Praxis ist es eher so, dass ein Patient eine Therapie erhält und z. B. aufgrund von therapiebedingten Begleiterscheinungen man die Dosis der Medikamente anpasst bzw. reduziert. Auch, wenn hiermit das Risiko besteht, dass die Wirksamkeit reduziert wird, kann man durch die dann bessere Verträglichkeit in einigen Fällen länger behandeln und muss die Therapie nicht vorzeitig abbrechen, so dass bei einigen Patienten im Endeffekt die Wirksamkeit einer niedrig dosierten aber langfristig verabreichten Therapie einer kurzzeitig verabreichten Therapie ebenbürtig ist. Wenn es dann bei Dosisreduktion zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt, hat man die Alternative, die Dosis wieder anzuheben bzw. die Medikamente zu wechseln. Da wir heutzutage über zehn verschiedene Präparate und unzählige Kombinationsmöglichkeiten haben, wird man durchaus das Risiko eingehen, die Dosis zu reduzieren und die Verträglichkeit zu verbessern, auch, wenn man dann schneller wieder die Substanz wechseln muss. Was ich sagen will, ist, dass ein häufigerer Therapiewechsel nicht automatisch bedeutet, dass es dem Patienten immer schlechter geht. Ich erinnere mich z. B. an eine Patientin, bei der wir wiederholt, aufgrund von unerwünschten Begleiterscheinungen, die Therapie modifiziert haben, es wiederholt zu einem Anstieg des Eiweißes kam, welches von der Patientin meist gar nicht wahrgenommen wurde und die Patientin zum Schluss mit zehn verschiedenen Therapien über zehn Jahre behandelt werden konnte. Nebenbei haben wir diese Patientin in einem Zeitraum behandelt, bevor all die neuen hochwirksamen Substanzen, wie Carfilzomib, Antikörper und andere, verfügbar waren.

Ingo_Nissen: Ist das Kontrastmittel eigentlich immer gleich bei den Pet-CTs, oder kann man durch unterschiedliches Kontrastmittel unterschiedliche Zellen aufspüren?

DR. SALWENDER: Das PET-CT wird in Deutschland zur Diagnostik beim multiplen Myelom nur sehr sehr selten verwandt. Auch, wenn es in mehreren Leitlinien erwähnt wird, ist sein Nutzen den in Deutschland regelmäßig eingesetzten Verfahren nicht eindeutig überlegen. Somit wird es von der Krankenkasse auch nicht erstattet. Meist wird das PET-CT im Rahmen von speziellen Studien in Deutschland verwendet. Tatsächlich gibt es mehrere verschiedene Kontrastmittel, die hierbei Verwendung finden. Es scheint sich eines bei Myelom-Patienten als überlegen herauszukristallisieren. Aber, wie gesagt, alles im Rahmen von speziellen Studien und in keinster Weise im Rahmen der Regelversorgung, da bisher die Überlegenheit nicht nachgewiesen ist.

Hedwig-Hörner: Die Diagnose Multiples Myelom steht. Trotzdem hatte ich auch noch eine CT gesteuerte Nadelbiopsie zur Spezifizierung einer „Raumforderung“ an der Halswirbelsäule, sowie ein PET- CT und eine Knochenmark-Biopsie am Becken, auch zur FISH GEN Bestimmung. Leider habe ich nicht verstanden, wofür das gebraucht wird. Könnte mir Dr. Salwender helfen?

DR. SALWENDER: Leider schreiben Sie nicht, wie es zu der Diagnose multiples Myelom kam. Möglicherweise handelt es sich um einen Zufallsbefund im Labor. Vermutlich zeigte sich eine einzige Raumforderung in der Halswirbelsäule. Da diese Raumforderung grundsätzlich auch einen anderen Tumor darstellen könnte, z. B. einen Lungenkrebs oder Brustkrebs, hat man diesen offensichtlich direkt punktiert, um sich zu vergewissern. In der PET-CT-Untersuchung hat man dann das Ausmaß der Erkrankung im ganzen Körper darstellen wollen. Möglicherweise war auch hier zunächst ein anderer Tumor vermutet worden. Bei einer konventionellen Darstellung mittels CT-Untersuchung und Nachweis von dutzenden Knochendefekten hätte man vermutlich nicht punktiert, da es sich hierbei um das typische Befallsmuster beim multiplen Myelom handelt. Diese Knochendefekte stellen einen Verlust von Knochen dar, während bei einer Raumforderung es sich um ein Zuviel an Gewebe handelt, welches - wie oben schon gesagt - sich zwar natürlich auch um ein Myelom handeln kann, aber je nach den Ergebnissen  der sonstigen Diagnostik eben auch mal ein anderer Tumor sein kann. Wenn Sie nur diesen einen Herd in der Halswirbelsäule hätten und im Knochenmark keine Plasmazellen nachgewiesen worden wären, wäre eine alleinige Bestrahlung des Herdes in der Halswirbelsäule in Frage gekommen. Deshalb musste man zusätzlich zur Diagnostik der Halswirbelsäule ergänzen, ob es sich um das multiple Myelom handelt, welches sich im gesamten Knochenmark ausbreitet und eine alleinige Strahlentherapie keine ausreichende Behandlung darstellen würde. Nach Diagnose des multiplen Myeloms hat man offensichtlich zur Abschätzung der Aggressivität der Erkrankung eine genetische Analyse der Plasmazellen, welche man aus dem Knochenmark gewonnen hat, veranlasst. Bei einem recht kleinen Teil der Patienten hätte dies eine therapeutische Konsequenz, weswegen diese Untersuchung von vielen Behandlern durchgeführt wird, von anderen aber nicht. Zusammengefasst hat jede Ihrer Untersuchungen ihren Sinn und Stellenwert.

DR. SALWENDER: Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern dieser Sprechstunde für die vielen interessanten Fragen und die rege Teilnahme. Zum Abschluss wünsche ich Ihnen allen einen angenehmen, entspannten Abend.



Ende der Sprechstunde.