Multiples Myelom– welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Dr. med. Hans Salwender
Leitender Oberarzt
Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin

Asklepios Klinik Altona
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Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg

PROTOKOLL

Multiples Myelom– welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Dr. med. Hans Salwender: Wir beginnen um 19 Uhr.

Genc: Erst die Chemo vor 8 Jahren, nach Rückfall vor 6 Jahren eine SZT. Seither alles im Lot. Dennoch bleibt die Angst, was noch geht, falls das MM zurückkommt? Gibt es da noch eine Perspektive?

Dr. med. Hans Salwender: Auch, wenn ich aufgrund Ihrer Ausführungen die Chemotherapie, die Sie erhalten haben, nicht kenne, kann ich Ihnen versichern, dass es eine ganze Reihe von Therapiemöglichkeiten gibt, falls das MM zurückkommt. Gerade in den letzten zwölf Monaten wurde eine ganze Reihe, teilweise vollkommen neuer, Substanzen zugelassen. Viele hiervon sind keine klassische Chemotherapie, aber dennoch hoch wirksam gegen das MM, zum Teil sogar wirksamer als Chemotherapie.

Hanna_Oerter: Bin ein eineiiger Zwilling 48 Jahre. Meine Schwester ist an MM erkrankt. Ich nicht. Sonst waren wir fast immer zur gleichen Zeit krank. Kriege ich das jetzt auch noch? Komme ich für eine Zellspende in Frage?

Dr. med. Hans Salwender: Das ist eine recht schwere Frage. Grundsätzlich ist das Risiko, an einem Multiplen Myelom zu erkranken, für erstgradig Verwandte erhöht. Erhöht, aber dennoch in aller Regel eine seltene Erkrankung. Dieses erhöhte Risiko betrifft vor allem eng Verwandte, insbesondere, wie Sie, eineiige Zwillinge. Ob Sie erkranken ist dennoch schwierig zu sagen und insbesondere, wann Sie erkranken, wäre vollkommene Spekulation. Grundsätzlich könnte man Sie als Spender verwenden, aber vermutlich würde man dennoch die Transplantation Ihrer eigenen Stammzellen gegenüber der Transplantation der Stammzellen Ihrer Schwester vorziehen.

Urmel: Gabe von Cannabinoide. Seit 1977 bin ich an MACA erkrankt, 02/10 Ossäre Metastase im Kreuzbein, 07/2014 Metastase im BWS-Bereich, 04/2016 Metastase im Lendenbereich. Zurzeit Schmerzreduktion durch Fentanylpflaster und Abstral sowie Ibuflam. Würede zur Schmerzreduktion hier ein Cannabinoid helfen und wenn ja, wo bekommt man dieses verschrieben.

Dr. med. Hans Salwender: Zur alleinigen Schmerztherapie setzen wir Cannabinoide nicht ein. In aller Regel reichen die Opiate oder einfachereren Schmerzmittel aus. THC-Präparate verwenden wir gelegentlich bei chemotherapieinduzierter Übelkeit, die mit herkömmlichen Methoden nicht ausreichend behandelbar ist oder beim tumorbedingten Gewichtsverlust zur Appetitsteigerung.

Gunda: Ich habe zur Bekämpfung einer Anämie, die durch das Plasmozytom entstanden ist, mehrfach Blutkonserven erhalten. Ich fühle mich danach besser. Da ich von der Problematik von Bluttransfusionen weiß, möchte ich gerne wissen, ob in allen Phasen (auch Rezidiv) einer Behandlung von multiplem Myelom EPO-Spritzen gegeben werden können?

Dr. med. Hans Salwender: Grundsätzlich kann man mit EPO-Spritzen behandeln. Insbesondere, wenn sich ein entsprechender Versuch als erfolgreich gezeigt hat. Grundsätzlich ist allerdings heutzutage auch die Transfusion von Blutkonserven mit einem deutlich geringeren Risiko vergesellschaftet als noch vor einigen Jahren. Sollte die Anämie durch ein aktives Plasmozytom verursacht sein, stünde natürlich die Behandlung des Plasmozytoms im Vordergrund. Das konkrete Vorgehen würde ich jedoch ungern von meinem Schreibtisch aus bestimmen, sondern möchte Sie bitten, dies mit Ihrem behandelnden Arzt zu besprechen.

reinhard auf sylt: Was ist eigentlich ein Multiples Myelom genau? Woran merkt man, dass man das bekommen hat?

Dr. med. Hans Salwender: Das Multiple Myelom ist eine bösartige Erkrankung des Immunsystems, wodurch das gesunde Immunsystem zunehmend zerstört wird, weswegen die Patienten gehäuft Infektionen haben können (aber nicht müssen). Darüber hinaus vermehren sich bei dieser Erkrankung so genannte Plasmazellen im Knochenmark und verdrängen die dortige Blutbildung, wodurch es zu Blutarmut kommt. Im Weiteren können Ansammlungen dieser Plasmazellen im Knochenmark dazu führen, dass sich der umgebende Knochen auflöst und Knochendefekte entstehen. Im Weiteren produzieren diese Plasmazellen Eiweiß, welches bei einem Teil der Patienten die Nieren schädigen kann. Hieraus ergeben sich eine Vielzahl von Symptomen, die aber in aller Regel unspezifisch sind, wie z. B. Kopfschmerzen, Knochenschmerzen, Infekte, Leistungsmangel. Da diese Erkrankung überwiegend ältere Menschen betrifft, ist es tatsächlich schwierig, den einen Patienten mit einem Multiplen Myelom herauszupicken unter vermutlich tausend Patienten, die die oben geschilderten Symptome aufgrund anderer Erkrankungen, wie Herzschwäche oder degenerative Knochen- und Gelenkerkrankung, haben. Grundsätzlich ist es wichtig, an diese Erkrankung zu denken, wenn oben genannte Veränderung über einen längeren Zeitraum bestehen, oder wenn bestimmte auffallende Laborwerte vorliegen, die auf eine Nierenfunktionsstörung hinweisen oder auf eine Blutarmut. Darüber hinaus sollte bei plötzlich auftretenden Knochenbeschwerden auch eine Röntgenuntersuchung erfolgen, die bei einer Großzahl der Betroffenen typische Veränderungen zeigt.

Wenn ich am Anfang die Erkrankung "bösartig" genannt habe, muss man doch sagen, dass sehr viele Patienten heutzutage sehr "gut" behandelt werden können und eine ganze Reihe von Patienten trotz dieser Erkrankung eine normale Lebenserwartung haben können.

Regina.P: Gibt es deutlichere, früher auftretende Blutwerte zur Erkennung eines Rezidivas als der Ig-Gesamtwert? Welche Werte werden in diesem Zusammenhang als erstes bestimmt?

Dr. med. Hans Salwender: Man kann ein Rezidiv manchmal früher erkennen, wenn man sich das Bild der so genannten Eiweißelektrophorese direkt betrachtet. Wenn zuvor eine komplette Remission bestand, sollte sich im so genannten Gammaglobulinbereich ein gleichmäßiger Hügel zeigen. Wenn sich hierauf eine Zacke entwickelt, kann dies für ein Rezidiv sprechen, welches oftmals früher sichtbar ist als eine Veränderung im IG-Gesamtwert. Auch die Bestimmung der freien Leichtkette zeigt oftmals das Rezidiv früher an.

Insgesamt muss man darauf hinweisen, dass diese sehr frühen Rezidive nicht unmittelbar eine Behandlungsbedürftigkeit darstellen, sondern teilweise über Jahre kontrolliert werden können. Somit stellt sich die Frage, wie groß mein Aufwand sein darf, eine minimale Zunahme der Krankheitsaktivität noch früher zu erkennen, wenn ich schlussendlich daraus keine Konsequenzen für die Therapie ziehe.

Icel: Bei uns steht eine Stammzentransplantation an und deshalb geht es vorrangig darum die Blutwerte zu stabilisieren, damit endlich damit begonnen werden kann. Aber diese Vorbereitung ist nicht ohne und mit einer heftigen Chemo verbunden, die meine Frau sehr schwächt. Sicherlich gibt es feste Standards welche Blutwerte als Minimum erreicht werden müssen, damit die STtranspl. gemacht werden kann. Wo liegen die?

Dr. med. Hans Salwender: Es gibt keine festen Standardwerte. Je besser die Erkrankung Ihrer Frau nach vier Zyklen der vorbereitenden Chemotherapie angesprochen hat, um so besser werden vermutlich die Gesamtergebnisse sein. Ich schreibe "vermutlich", weil es sich hier um statistische Aussagen handelt und möglicherweise ein schlechtes Ansprechen am Anfang durch eine Nachbehandlung nach Hochdosistherapie ausgeglichen werden kann. Wenn Ihre Frau die Vorbehandlung so schlecht verträgt, würde ich im Gegenteil anstreben, die Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation schneller durchzuführen, um auf Giftigkeit im Vorfeld zu verzichten. Hier muss man sicherlich den Wunsch nach gutem Ansprechen und das Ausmaß der unerwünschten Wirkungen gegeneinander abwägen.

Jeb Nickermann: Gibt es sogen. Risikopatienten? Ich meine eine persönliche Disposition dafür?

Dr. med. Hans Salwender: Ich verstehe Ihre Frage so, ob es Menschen gibt, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Multiplen Myeloms haben. Dies sind z. B. erstgradig Verwandte von Patienten mit Multiplem Myelom. Weitere Risikofaktoren sind eher theoretischer Natur. Aber auch bei erstgradig Verwandten von Myelom-Patienten ist das Risiko für eine Myelomerkrankung relativ gering. So sollte sich der Sohn einer Myelom-Patientin, der raucht, immer noch mehr Gedanken machen über einen Lungenkrebs als über das Multiple Myelom.

Lukas: Was ist mit den schwer in Mitleidenschaft gezogenen inneren Organen nach Chemo- und Stammzelltherapie? Sind da neue Probleme zu erwarten? Festigen sich die Zähne wieder?

Dr. med. Hans Salwender: Die meisten Substanzen, die wir zur Therapie des Multiplen Myeloms einsetzen, haben relativ wenig negativen Einfluss auf innere Organe. In erster Linie ist die Blutbildung beeinträchtigt. Hierzu wird z. B. im Rahmen der Stammzelltherapie vor der Hochdosis ein Teil der Blutbildung "in Sicherheit gebracht". Tatsächlich war es vor zwanzig Jahren noch so, dass die Therapie im Laufe der Behandlung nach ein bis zwei Jahren aufgrund der zunehmenden Schwächung der Blutbildung immer schwerer durchführbar war, manchmal abgesetzt oder zumindest in der Dosis reduziert werden musste und in der Folge das Multiple Myelom nicht mehr beherrschbar war. Das hat sich zum größten Teil heute grundlegend geändert, aufgrund der Verfügbarkeit neuer Substanzen. Herz und Leber werden in aller Regel nicht durch die Therapie negativ beeinflusst, die Niere wird eher durch die aktive Myelomerkrankung geschädigt. Die Therapie hat, z. B. bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung, eher den Sinn, die Nierenfunktion wieder herzustellen. Die Zähne sind weniger das Problem als der Kiefer, der unter einer Therapie mit so genannten Bisphosphonaten und gleichzeitigem zahnärztlichem Eingriff am Kiefer bei einem kleineren Teil der Patienten schlechter heilt. Hier ist es sinnvoll, diese Substanzen - wenn möglich frühzeitig - vor solch einem Eingriff abzusetzen, um das Risiko zu vermindern.

Kuckuck: Ich habe ein verändertes Blutplasma mit einer guten Prognose, so sagte man mir. Trotzdem oder deswegen gehe ich alle 3 Monate zur Kontrolle. Im Laufe der Zeit habe ich versucht immer mehr zu erfahren, vor allem welche zusätzlichen Risiken da sind. Dabei bin ich immer wieder auf eine Aussage gestoßen, dass die Hälfte der Betroffenen innerhalb weniger Jahre, meist wurden 5 Jahre genannt, an einem Multiplem Myelom erkranken. Kann ich da im Vorfeld etwas gegen machen? Wenn man das weiß, dass jeder 2. Daran erkrankt muss es dazu doch Forschung o.ä. geben.

Dr. med. Hans Salwender: Bei Ihnen liegt möglicherweise eine monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz vor. Hierbei zeigt sich eine Auffälligkeit in den Bluteiweißen. Diese Veränderung findet sich bei 5 % der Menschen über siebzig Jahren. Bereits im Namen dieser Veränderung ist zu erkennen, dass gar nicht klar ist, ob es sich überhaupt um eine richtige Erkrankung handelt. Von diesen Patienten erleiden pro Jahr ca. 1 % ein Multiples Myelom. Ein langes Leben vorausgesetzt, kann das Risiko im Laufe der Jahrzehnte auch auf 50 % steigen. Davon abzugrenzen ist ein "schwelendes" Multiples Myelom. Hierbei findet sich, außer der oben genannten Eiweißveränderung, im Knochenmark ein Anteil von über 10 % Plasmazellen. Hiermit besteht bereits die Erkrankung Multiples Myelom, allerdings in einer schwelenden, oder auch schlafenden, Phase. In dieser Phase bestehen keine Schäden an Knochen, Nieren oder Blutbildung. Das Risiko eines Übergangs zu einem behandlungsbedürftigen Multiplen Myelom beträgt ca. 10 % pro Jahr. Es gibt tatsächlich Forschungen dazu, welche Labor- oder sonstigen Befunde mit einem höheren Risiko für einen Übergang zur Behandlungsbedürftigkeit vergesellschaftet sind. Dies führte bereits zu einzelnen Empfehlungen eines früheren Behandlungsbeginns, z. B. bei Patienten mit einem Knochenmark-Plasmazell-Anteil von über 60 %. Darüber hinaus bedeutet ein Risiko von 10 % pro Jahr nicht, dass Sie ein 100 %-Risiko nach zehn Jahren hätten, sondern im Gegenteil gibt es eine Reihe von Patienten, die selbst in dieser Phase, wo bereits die Diagnose Multiples Myelom besteht, über Jahre und Jahrzehnte nicht behandelt werden müssen.

Gifhorn: Welche neuen Medikamente zur Behandlung eines Multiplen Myeloms gibt es und vor allem wie heißen die Wirkstoffe und die Präparate? Ich möchte mit meinen Ärzten über die neuesten und nach Studienlage wirkungsvollsten Medikamente sprechen. Dazu benötige ich die Namen!

Dr. med. Hans Salwender: In den letzten zwei bis drei Jahren wurde eine Reihe neuer Substanzen zugelassen. Den Anfang machte vor ca. drei Jahren das Pomalidomid, eine Weiterentwicklung des seit Jahren eingesetzten Lenalidomid. Vor ca. einem Jahr wurde das Panobinostat zugelassen, eine komplette Neuentwicklung, die die Wirkung, z. B. von Bortezomib, verstärkt. Vor einem halben Jahr wurde Carfilzomib zugelassen, welches verwandt zu Bortezomib ist, aber unter anderem weniger Nervenschäden verursacht. Ganz aktuell wurde vorletzte Woche das Elotuzumab und heute das Daratumumab zugelassen. Bei den beiden letztgenannten handelt es sich ebenfalls um komplette Neuentwicklung, um so genannte monoklonale Antikörper, welche einen neuen Wirkmechanismus aufweisen und in Zukunft mit den vorgenannten Substanzen vermutlich kombiniert werden können.

Dr. med. Hans Salwender: Der Experte macht eine kurze Pause. Wir setzen die Beantwortung Ihrer Fragen in wenigen Minuten fort.

G_Egidie: Gelte ich sechs Jahre nach einer Multiplen Myelom-Erkrankung geheilt, oder ist das immer noch „erst einmal geheilt“. Bisher habe ich mir und meiner Frau verboten von Heilung zu sprechen, um die Enttäuschung und Angst zu reduzieren, wenn die Krankheit wieder ausbricht. Andererseits sind 6 Jahre eine ordentliche Zeit oder?

Dr. med. Hans Salwender:
Bei der Behandlung des Multiplen Myeloms sind wir sehr zurückhaltend mit dem Begriff Heilung. Obgleich tatsächlich einige Patienten nach einer autologen Stammzelltransplantation in Kombination mit neueren Substanzen bis heute keinen Rückfall erlitten haben. Bei anderen Krebserkrankungen spricht man oftmals bereits nach fünf Jahren von Heilung. Das Problem ist, bis ich schlussendlich weiß, ob Sie geheilt sind im reinsten biologischen Sinne, muss ich warten, bis Sie möglicherweise in Jahrzehnten an irgendetwas anderem gestorben sind. Da wir tatsächlich zunehmend häufig Patienten sehen, die, ohne einen Rückfall zu erleiden, eine normale Lebenserwartung erreichen, bzw. an einer ganz anderen Erkrankung verstarben, sollten wir meines Erachtens großzügiger bzw. mutiger mit dem Begriff Heilung umgehen. Eine Ausnahme von dem oben genannten stellt immer wieder die Behandlung mit allogener Stammzelltransplantation dar, also mit der Behandlung mit Stammzellen eines fremden Spenders. Die Langzeitbeobachtungen sprechen jedoch nicht dafür, dass der Anteil der Patienten nach einer Fremdspendertransplantation, die langfristig keinen Rückfall ihrer Erkrankung erleiden, wesentlich unterschiedlich zu der von mir zuvor genannten Therapie ist. Somit wird meines Erachtens bei der Fremdspendertransplantation (die allenfalls innerhalb von Studien durchzuführen ist) der Begriff Heilung zu großzügig verwandt und im Gegensatz dazu bei der Transplantation eigener Stammzellen nach Hochdosis-Chemotherapie in Zusammenhang mit neuen Substanzen, zu zurückhaltend.

Andererseits geht es meines Erachtens, wie bei dem überwiegenden Teil der internistischen Erkrankungen, nicht um das Erreichen einer vermeindlichen Heilung mit der Brechstange, sondern dass Sie mit möglichst wenig unerwünschten Wirkungen nie mehr an Ihrer Erkrankung leiden, wenn die Erkrankung wieder aufflammen sollte, erneut behandelt werden können und schlussendlich - auch, wenn die Erkrankung im Labor noch sichtbar ist - eine normale Lebenserwartung erreichen. Dieses Ziel halte ich bei Ihnen für realtistisch.

Hille-Diaz: Gibt es eine eindeutige Preferenz, welche Form der Stammzell-Transplantion für welchen Patienten am geeignetsten ist?

Dr. med. Hans Salwender: Es gibt zwei Formen der Stammzelltransplantation. Das eine ist die so genannte autologe Übertragung eigener Stammzellen, die zuvor aus dem Venenblut gewonnen wurden. Diese Behandlung im unmittelbaren Anschluss an eine Hochdosis-Melphalan-Behandlung, ist gemäß den meisten Leitlinien, die Standardtherapie für fitte Patienten in einem biologischen Alter (es zählt hierbei nicht allein das Alter im Personalausweis) bis ca. 70 Jahre. Auf der anderen Seite gibt es die so genannte allogene Stammzelltransplantation mit Stammzellen eines Spenders. Aufgrund des erhöhten Risikos, bereits an der Behandlung zu versterben, von ca. 10 bis 15 %, insbesondere bei älteren Patienten, aufgrund einer hohen Rate langfristiger Komplikationen aufgrund von Abstoßungsreaktionen zwischen gespendeten Stammzellen und Empfänger und aufgrund des nicht überzeugenden "Heilungspotentials" bei  der Langzeitauswertung von Studien, ist diese Form der Transplantation nur für einen winzigen Teil der Patienten denkbar und sollte ausschließlich im Rahmen von Studien durchgeführt werden. Der vermeindliche Nutzen dieser zuletzt genannten Transplantationsform ergibt sich aus alten Studien im Vergleich zu veralteten Therapien. Insbesondere im Lichte der heutigen hochwirksamen Substanzen mit einer minimalen Rate an unerwünschten Wirkungen, ist ein Einsatz dieser Therapie außerhalb von Studien meines Erachtens nicht zu rechtfertigen.

Northcast: Bei meinem Bruder wurde mit Hilfe einer Nierenbiopsie eine Amyloidose festgestellt. Hinderlich für die weitere Diagnostik ist offenbar eine starke Eiweißausscheidung. Denn die Vermutung ging in Richtung Plasmocytom. Eine Knochenmarksbiopsie brachte kein einwandfreies Ergebnis. Was kann noch dahinter stecken? Gibt es so was wie ein schlafendes Plasmocytom, das dann irgendwann aktiv wird?

Dr. med. Hans Salwender: Die Amyloidose ist zunächst eine eigenständige Erkrankung, bei der fehlerhaft Eiweiß in verschiedenen Organen abgelagert wird. Dies kann z. B. Herz, Niere, aber auch Leber und Nerven betreffen. Im Zusammenhang mit einem Plasmocytom fällt diese Erkrankung deshalb schneller auf, weil beim Plasmocytom noch vermehrt Eiweiß produziert wird, welches anschließend fehlerhaft in den Organen abgelagert wird und diese schädigt. Aber, wie gesagt, die Amyloidose gibt es auch unabhängig vom Plasmocytom. Die starke Eiweißausscheidung ist somit Ausdruck dieser Amyloidose. Die Eiweißausscheidung bei Amyloidose ist in der Regel eine andere als die Eiweißausscheidung beim Plasmocytom. Sollten durch die Amyloidose Organe geschädigt sein, wie bei Ihrem Bruder offenbar die Niere, sollte die Amyloidose auch ohne Nachweis eines Plasmocytoms bzw. Multiplen Myeloms behandelt werden.

Grundsätzlich zu berücksichtigen ist, dass es eine große Zahl verschiedener Amyloidosen gibt, z. B. in Zusammenhang mit chronischen entzündlichen Erkrankungen oder auch angeboren, man aber nur eine einzige Variante direkt behandeln kann. Somit gilt es, diese Amyloidose zunächst zu klassifizieren, bevor eine Therapie eingeleitet werden kann. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, das Amyloidosen sehr selten sind und entsprechend auch selten in Zusammenhang mit einem Plasmocytom zu Organschäden führen.

Claussa: Durch eine Hochdosistherapie wegen MM habe ich erhebliche Geschmacksstörungen. Ich habe ohnehin keinen Appetit und meine Frau gibt sich die größte Mühe meine Lieblingsgerichte für mich zu kochen und ich schmecke nur „Pelz“ auf der Zunge. Geht das wieder weg?

Dr. med. Hans Salwender: Tatsächlich beschreiben Sie eine häufige unerwünschte Wirkung nach Hochdosis-Melphalan-Therapie. Durch diese Therapie kommt es zu einer Zerstörung von Schleimhäuten, die anschließend erneuert werden, aber für eine - meist vorübergehende - Zeit ein verändertes Geschmacksempfinden verursachen. Oftmals ist es hilfreich, Gerichte stärker zu würzen, aber im Wesentlichen ist es eine Frage der Zeit, bis sich das Empfinden wieder normalisiert.

Picker: Die Bestrahlung ist fast geschafft. Danach steht eine wichtige Entscheidung an. Meine Frau hat wiederkehrend Depressionen verbunden mit einer Angststörung, die aber gut unter Kontrolle ist. Sie hat bis zum Ausbruch der MM-Erkrankung ein normales Leben geführt, war berufstätig, alles in der Spur. Aber jetzt kommt noch mal richtig was auf uns zu. Kann Sie sich eine Stammzell-Transplantation zutrauen. Schafft sie das. Die Entscheidung liegt bei ihr. Die Alternative wäre eine Chemo. Was kollidiert weniger mit Psychopharmaka?

Dr. med. Hans Salwender: Hierzu ist es wichtig, nicht nur einzelne Aspekte, sondern Ihre Frau als Ganzes zu sehen und zu beurteilen, ob sie für eine Hochdosistherapie geeignet ist. Die Stammzelltransplantation mit eigenen Stammzellen ist ja auch "nur" eine Chemotherapie, obgleich höher dosiert. Die Entnahme und anschließende Rückgabe der eigenen Stammzellen reduziert hierbei nur die Schädigung der Blutbildung durch die hochdosierte Chemotherapie. Ohne Chemotherapie hätte die Entnahme und anschließende Rückführung eigener Stammzellen keinerlei Effekt. Somit stellt sich nicht die Frage, Chemo oder Transplantation, sondern eher, welche Chemotherapie. Wir haben eine ganze Reihe von Patienten, die parallel zur Hochdosis-Chemotherapie mit Psychopharmaka behandelt wurden. Die von Ihnen geschilderten psychischen Beschwerden Ihrer Frau und auch die mutmaßliche Therapie mit Psychopharmaka schließt diese Hochdosisbehandlung nicht aus, im Gegenteil, der Vorteil der Hochdosistherapie ist die zeitliche Begrenzung auf in der Regel drei Wochen unter kontrollierten stationären Bedingungen im Gegensatz zu einer langfristigen, teilweise jahrelangen, Therapie, auch mit Chemotherapie, aber in erster Linie mit relativ hochdosierten Cortison-Präparaten, die für sich genommen die Psyche negativ beeinflussen können. Aber, ich habe es bereits zum Eingang gesagt, natürlich muss Ihre Frau als gesamte Person beurteilt werden und nur zusammen mit einem erfahrenen Therapeuten kann beurteilt werden, ob sie für eine Hochdosistherapie geeignet ist.

Dr. med. Hans Salwender: Ich danke Ihnen für die rege Teilnahme an dieser Sprechstunde und die vielen interessanten Fragen. Zum Abschluss wünsche ich Ihnen allen einen angenehmen Abend.



Ende der Sprechstunde.