Multiples Myelom: Was verbirgt sich hinter dieser Erkrankung?

Dr. med. Hans Salwender
Leitender Oberarzt
Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin

Asklepios Klinik Altona
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Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg

PROTOKOLL

Multiples Myelom: Was verbirgt sich hinter dieser Erkrankung?

DR. MED. HANS SALWENDER: Wir beginnen um 19 Uhr.

Leander: Bei den vielen unangenehmen Belastungen der eigentlichen Erkrankung durch ein Multiples Myelom, welche sollte man zusätzlich behandeln, welche einfach aushalten? Es geht darum eine Balance zu finden zwischen dem was unerlässlich ist und was sich nicht abstellen lässt, um die Fülle der Medikation im Griff zu halten.

DR. MED. HANS SALWENDER: Sie sprechen vermutlich die Beschwerden, die durch die Erkrankung entstehen, an, wie Schmerzen  der Knochen, Zeichen der Blutarmut (wie Kopfschmerz, Atemnot bei Belastung). Diese Beschwerden sollten auch behandelt werden. Eins der größten Probleme bei dem Multiplen Myelom sind Infektionen. Sollten Sie aufgrund von Schmerzen, z. B. im Brustkorb, nicht richtig durchatmen können, wird das Risiko für eine schwerwiegende Lungenentzündung erhöht. Deshalb empfehle ich, die Schmerzen zu behandeln, solange die unerwünschte Wirkungen einer Schmerzbehandlung, wie Schwindel, Übelkeit oder Verstopfung im Rahmen bleiben, bzw. solange diese mit verschiedenen - manchmal recht einfachen Mitteln - behandelt werden können, wie z. B. die Verstopfung, die bei der Therapie mit Morphiumpräparaten schon von Anfang an behandelt werden sollte. Auch Zeichen einer Blutarmut sollten z. B. durch die Gabe von Spenderblut behandelt werden.

Reiber: Durch Zufall - quasi als Nebenbefund - wurde bei meiner Mutter ein Multiples Myelom festgestellt, weil sie glücklicherweise einen sehr engagierten Arzt hat. Uns selbst war schon aufgefallen, dass sie plötzlich das obere Regal in der Küche nicht mehr erreichen konnte. Darüber haben wir Scherze gemacht, dass sie jetzt wohl schrumpft. Leider hat sie nicht erwähnt, dass ihr auch die Knochen weh tun, dann wäre die Krankheit vielleicht noch eher entdeckt worden. Aber vielleicht hat sie dennoch Glück im Unglück, denn nach Abschluss der Diagnostik scheint das „MM“ begrenzt zu sein mit guter Perspektive. Was genau heißt das jetzt? Kann der Experte das evtl. interpretieren?

DR. MED. HANS SALWENDER: Grundsätzlich gibt es beim Multiplen Myelom verschiedene Stufen. Zunächst gibt es eine Vorstufe, die so genannte monoklonale Gammopathie, bei der noch nicht klar ist, ob überhaupt eine Krankheit vorliegt. Als zweites gibt es das so genannte schwelende multiple Myelom, bei der die Erkrankung zwar formal aufgrund einer bestimmten Anzahl von Plasmazellen im Knochenmark vorliegt, zu diesem Zeitpunkt richtet die Erkrankung aber keinerlei Schaden an und muss deshalb in aller Regel zunächst nicht behandelt werden. Diese Phase, bei der zwar formal bereits eine bösartige Erkrankung vorliegt, kann aber dennoch manchmal Jahre oder Jahrzehnte andauern, auch ohne Therapie. Sollte das Multiple Myelom richtig aufgeflammt bzw. ausgebrochen sein, entstehen Schmerzen am Knochen bzw. Schäden am Knochen, es kann zu einer Schädigung der Nieren kommen und eine Beeinträchtigung der Blutbildung vorliegen. Ihre Formulierung verstehe ich am ehesten wie das schwelende Multiple Myelom. Andererseits dürfte Ihre Mutter dann nicht aufgrund dieser Erkrankung kleiner geworden sein. Möglicherweise liegt bei ihr eine zeitgleich bestehende Osteoporose vor, die mit dem Multiplen Myelom zusammenhängen kann aber nicht muss. Wenn es eine unabhängige Osteoporose ist, sollte man die Osteoporose behandeln. Sollte das Multiple Myelom nur die formalen Kriterien erfüllen für das Vorliegen  der Erkrankung aber keine weiteren Schäden verursacht haben, würde man in der Regel von einer Behandlung, die aufgrund einer meist andauernden Kortisontherapie auch unerwünschte Wirkungen hat, absehen.

Saalbach_Zürich: Woran merkt man, dass man an einem Myelom erkrankt ist? Und was ist das genau für ein Krebs?

DR. MED. HANS SALWENDER: Die Beschwerden beim Multiplen Myelom sind meist unspezifisch. Die Patienten sind im Durchschnitt ca. 70 Jahre alt und haben durch das Myelom bedingt Schmerzen am Bewegungsapparat, Leistungsmangel, manchmal Kopfschmerzen, seltener Verwirrtheitszustände. All diese Symptome können aber auch viele andere Gründe haben bei älteren Menschen. Somit habe ich allergrößten Respekt vor einem Hausarzt oder Orthopäden, der unter den tausend Patienten in seiner Praxis mit degenerativen Beschwerden am Bewegungsapparat den einen rauspickt, der möglicherweise ein Multiples Myelom hat. Im Frühstadium der Erkrankung findet man die Veränderung eigentlich nur mit spezifischeren Laboruntersuchungen, also nicht mit den Werten in einem einfachen Gesundheits-Check-Up. Wenn man einen Abfall des Hämoglobinwertes oder einen Anstieg des Kreatininwertes beim Gesundheits-Check-Up findet, handelt es sich beim Multiplen Myelom nicht mehr um das Frühstadium. Bei Verdacht auf das Multiple Myelom kann der Arzt aber eine spezielle Untersuchung der Eiweiße im Blut veranlassen, die in die entsprechende Richtung weisen. Grundsätzlich gibt es erste Hinweise auf ein Multiples Myelom bei ca. 80 % der Myelom-Patienten bereits in der Blutsenkungsgeschwindigkeit. Diese wird heutzutage aber leider seltener durchgeführt als früher. Andererseits muss man bedenken, dass es sich bei dem Multiplen Myelom um eine Erkrankung handelt, die pro Jahr nur sechs von 100.000 Einwohnern betrifft.
 
Es handelt sich hierbei um eine bösartige Erkrankung des Immunsystems, zu deren Beginn das Immunsystem an einer einzigen Stelle unnütz überaktiv ist. Im weiteren Verlauf zerstört dieser unnütze Teil des Immunsystems den gesunden Teil, so dass im Endeffekt das Immunsystem und damit die Infektionsabwehr der Patienten zerstört wird. Somit hängt das Überleben der Patienten davon ab, wie gut man Infektionen, die dem Patienten widerfahren, behandeln kann. Das ist heutzutage allerdings mit einem frühzeitigen Einsatz von Antibiotika recht gut möglich. So dass wir heutzutage einen Großteil der Patienten haben, die selbst zum Zeitpunkt der Erkrankung, zu welcher diese bereits voll ausgebrochen ist, noch weit über zehn Jahre, mit einer adäquaten Therapie, leben können. Diese - für viele Patienten - sehr lange Lebenserwartung (immerhin sprechen wir über meist ältere Patienten), entspricht eigentlich eher dem Verlauf einer chronischen Erkrankung, wie z. B. Zuckerkrankheit, als einem sonst üblichen "Krebs", wie Lungen- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs.

VECHTA: Was ist mit Kyprolis gemeint?

DR. MED. HANS SALWENDER: Kyprolis ist der Handelsname eines neuen Medikamentes zur Behandlung des Multiplen Myeloms, welches in Deutschland seit Ende letzten Jahres zugelassen ist. Es handelt es sich hier um Carfilzomib, welches ähnlich wirkt, wie das seit bereits zwölf Jahren eingesetzte Bortezomib (Velcade), aber nicht, wie das Bortezomib Schäden an den Nerven der Hände und Füße verursacht. Diese so genannte Polyneuropathie war vor einigen Jahren noch der "Haken" der Therapie mit Bortezomib, welche, davon abgesehen, hochwirksam ist. Carfilzomib scheint darüber hinaus sogar noch wirksamer zu sein, als Bortezomib. Im Moment muss das Carfilzomib oder Kyprolis allerdings noch intravenös - sprich über die Vene - zweimal pro Woche verabreicht werden, was etwas aufwändiger ist als die Verabreichung des Bortezomibs subkutan - sprich unter die Haut.

Janne-Sandt: Wenn man ein MM als Grunderkrankung hat ergeben sich ja hohe Risiken für weitere Organerkrankungen (Herz und Niere) oder es geht in die Knochen. Wir sind momentan zwischen Baum und Borke. Meine Frau erholt sich gut, deshalb die Frage, wie zeitnah sollte eine Weiterbehandlung stattfinden, wenn die Auswirkungen auf andere Organe derart hoch sind?

DR. MED. HANS SALWENDER: Hier muss man unterscheiden. Organschäden des Multiplen Myeloms am Herzen sind sehr selten. Veränderungen an der Niere können sehr gravierend sein, betreffen aber nur einen Teil der Patienten. Das Risiko für eine Schädigung der Nieren kann man relativ gut an der Höhe der so genannten Leichtketten ablesen. Das Multiple Myelom  sitzt im Knochenmark und führt von dort aus bei dem größten Teil der Patienten im Laufe der Zeit zu Auflösung des Knochens - so genannten Osteolysen - die, wenn der Knochen zu dünn geworden ist, dazu führen, dass ein Knochen bricht. Diese Schäden an Knochen und Nieren können, wie gesagt, gravierend sein und übersteigen oftmals, wenn nicht in der Regel, die unerwünschten Ereignisse der Therapie, welche diese Komplikation verhindern soll. Andererseits gibt es unerwünschte Ereignisse unter der Therapie, wie Durchfall oder Nervenschäden. Sollten diese sehr belastend sein, empfehle ich individuell die Krankheitsaktivität des Patienten zu überprüfen, ob, wenn die Erkrankung gut zurückgedrängt ist, möglicherweise eine Therapiepause oder eine Dosisreduktion (Verminderung) durchzuführen.

Hasselbach: Was ist ein Leichtkettenmyelom?

DR. MED. HANS SALWENDER:

Unser Immunsystem besteht aus vielen Einzelteilen, u. a. tausende verschiedene Plasmazellen. Diese Plasmazellen produzieren Eiweiße zur Abwehr von Infektionen. Jede Plasmazelle produziert hierbei ein anderes Eiweiß. Diese Eiweiße heißen Immunglobuline. Wir können diese einteilen in Gruppen, z. B. IgA und IgG.

Diese Immunglobuline sind relative große Eiweißkörperchen. Manchmal, in ca. 20 % der Fälle, sind die erkrankten Plasmazellen  des Patienten nicht mehr in der Lage, diese großen Moleküle zu bilden, sondern nur noch Bruchstücke hiervon. Diese Bruchstücke nennen wir Leichtketten oder haben sie früher Bence-Jones-Eiweiße genannt. Diese Myelome nennen wir Leichtkettenmyelome, die wir wiederum einteilen können in zwei Gruppen, kappa und lambda. Bei einem weitaus größeren Teil der Patienten können wir im Blut diese Leichtketten, aber auch die intakten Immunglobuline, wie z. B. IgG, nachweisen. Diese Myelome nennen wir z. B. IgG kappa. Das Besondere beim Multiplen Myelom im Gegensatz zu einem gesunden Immunsystem ist, dass nicht mehr tausende von Immunglobulinen produziert werden, sondern zunehmend nur noch eine einzige Sorte, weswegen wir die Erkrankung monoklonal nennen.

Das Besondere an den Leichtkettenmyelomen ist, dass sie noch etwas schwieriger zu entdecken sind, diese Patienten haben z. B. schäumenden Urin, aber im Labor sind sie unauffälliger als andere Myelome. Dies führt dazu, dass diese Patienten oftmals erst entdeckt werden, wenn die Leichtketten, dann in großer Menge, die Niere geschädigt haben.

DFL: Seit meine Mutter an einem Multiplen Myelom erkrankt ist spukt es in meinem Kopf mich testen zu lassen, ob ich das später auch bekomme. Aber ich traue mich bisher nicht. Macht das überhaupt Sinn?

DR. MED. HANS SALWENDER: Das macht in aller Regel keinen Sinn, weil es keinen richtigen Parameter gibt, der das Auftreten eines Myeloms voraussagt. Man könnte natürlich schauen, ob Sie eine so genannte monoklonale Gammopathie haben. Diese ist zwar auf der einen Seite das Vorstadium für ein Multiples Myelom, andererseits erkrankt pro Jahr nur ein Patient von 100 mit einer monoklonalen Gammopathie auch wirklich an einem Multiplen Myelom. Ihr Risiko, an einem Multiplen Myelom zu erkranken, ist tatsächlich etwas erhöht, aber insgesamt haben auch Sie nur ein geringes Risiko, jemals an dieser Erkrankung zu erkranken. Andererseits verstehe ich Sie natürlich, dass wenn Ihre Mutter eine Erkrankung hat, von der Sie und vermutlich Freunde und Bekannte zuvor noch nie etwas gehört hatten, die bei vielen Patienten der Grund für seit Monaten oder Jahren bestehende Beschwerden ist, dass Sie bei jedweden Beschwerden am Bewegungsapparat sich immer fragen werden, ob diese Erkrankung nun auch bei Ihnen vorliegt. Die Frage ist tatsächlich nicht ganz leicht zu beantworten. Wenn Sie jetzt eine Blutuntersuchung durchführen lassen und man findet bestimmte Eiweißveränderungen bei sonst fehlenden Beschwerden, wissen Sie nicht, wann diese Erkrankung schlussendlich ausbricht, heute, morgen, in zwanzig Jahren oder nie. Ich glaube, das Wesentliche ist, wenn Sie tatsächlich mal Beschwerden haben, insbesondere, wenn diese über einen längeren Zeitraum anhalten, auch an diese sehr seltene Krankheit zu denken.

Hellas: Als mein Vater an einem MM erkrankte haben wir sehr schnell erfahren, dass die Krankheit ganz unterschiedlich verläuft und es eigentlich keine Anhaltspunkte gibt, die man von anderen Patienten erfährt. Das ist einerseits gut, macht aber auch unsicher. Gibt es neueste Erkenntnisse, wie häufig ein Rückfall ist nach einer Autologen Stammz.? Wie lange ist die rückfallfreie Zeit durchschnittlich?

DR. MED. HANS SALWENDER: Bereits seit über 70 Jahren gibt es Risikofaktoren beim Multiplen Myelom, mit denen man Patienten einteilen kann in solche, mit einem hohen Rückfallrisiko, also, dass sie schnell einen Rückfall haben werden und einem niedrigen Rückfallrisiko. Das Problem ist, dass bis vor Kurzem dies keine therapeutischen Konsequenzen hatte, da alle Patienten die gleiche Therapie bekamen. Alle Patienten hatten vor Erkrankungsbeginn ja damit gerechnet, 80 Jahre und mehr zu werden. Mit der Mitteilung, dass man eine bösartige Erkrankung hat, ändert sich das Leben und die Zeitspanne, die man glaubt, noch zu leben hat, ganz gravierend. Hinweise im Internet, dass das durchschnittliche Überleben, fünf Jahre, sechs Jahre, zehn Jahre ist, beunruhigt, weil man - wie gesagt - vor Erkrankungsbeginn ganz andere Zeiträume erwartet hat. Durch diese Risikoeinteilung bildet man Gruppen von Patienten, denen man anschließend sagen muss, dass es nicht nur schlimm ist, dass sie eine bösartige Erkrankung haben, sondern dass sie auch noch zu einer Gruppe gehören mit ganz besonders schlechter Prognose. Das halte ich persönlich, wenn man dies nicht aufgrund einer bestimmten Therapie ändern kann, für rücksichtslos. Insbesondere weil die ganzen Gespräche über Überlebenszeiten oder krankheitsfreie Zeiten sich immer nur auf eine Gruppe von Patienten beziehen. Ganz konkret ist es so, dass wenn ich Ihnen das so genannte mediane Überleben nenne, ist dies das Überleben des 50. Patienten aus einer Gruppe von 100 Patienten, d. h. ca. 50 Patienten leben länger als dieser durchschnittliche Überlebenswert und ca. 50 % der Patienten leben kürzer. Es gibt Erkrankungen, bei denen liegen die Überlebenszeiten aller 100. Patienten relativ dicht beieinander, nicht so beim Multiplen Myelom. Wir haben Patienten mit bestimmten genetischen Veränderungen, aber auch ohne solche Veränderungen, welche nach sechs oder zwölf Monaten bereits einen Rückfall haben nach autologer Stammzelltransplantation. Andererseits habe ich Patienten bereits vor der Ära der so genannten "neuen" Substanzen mit autologer Stammzelltransplantation behandelt, die bis heute keinen Rückfall haben. Wenn ich - oder andere - also diese durchschnittlichen Überlebenszeiten nenne, oder die durschnittlichen Zeiten bis zum Rückfall, wird die Hälfte der Patienten enttäuscht sein, weil ihr Rückfall viel schneller kam und die zweite Hälfte der Patienten hat ängstlich auf einen Zeitpunkt gefiebert, zu dem sie mit dem Rückfall gerechnet haben, obwohl dieser in ihrem individuellen Fall erst viel später kommt. Aber natürlich setzen wir heutzutage auch verschiedene Risikofaktoren ein, trotz allem, was wir oben geschrieben haben, vor allem aber, um Patientengruppen zu vergleichen, wie z. B. in Studien, wo wir gerade neue Therapiekonzepte testen, um bestimmten Patientengruppen mit hohem Rückfallrisiko besonders gut zu helfen. So konnten wir vor wenigen Jahren zeigen, dass durch eine Kombination von autologer Stammzelltransplantation und einer Behandlung mit Bortezemib die einstmals sehr ungünstigen Risikofaktoren "Niereninsuffizienz" und "Deletion 17" viel von ihrem Schrecken verloren haben. D. h. Risikofaktoren sind auch nicht immer allgemein gültig. In dem Sinne, dass eine ungünstige genetische Veränderung möglicherweise nur ungünstig ist, wenn man Therapie X anwendet, nicht aber, wenn man Therapie Y anwendet. Grundsätzlich wollte ich noch einmal betonen, dass man mit der Nennung von solchen Risikofaktoren auch Angst und Sorgen auslösen kann, obwohl möglicherweise das Risiko des unmittelbar vor einem sitzenden Patienten ganz anders ist als das des Durschnitts einer Patientengruppe mit dieser spezifischen Veränderung.

Lauber: Unser Vater hatte nach einer Stammzelbehandlung einen Rückfall nach 4 Jahren. Er ist schwach, kann sich eigentlich nicht gut selbst versorgen. Meine Mutter ist voll im Einsatz. Ein Segen, dass sie für ihn da sein kann und er weiß das überhaupt nicht zu schätzen. Soweit ich weiß bekommt er Thalidomid und Revlimid (15mg) und Dex (40mg 1x wöchentlich), aber vielleicht ist das auch schon wieder geändert worden. Er schleppt sich durch die Tage. Der Onkologe sagt, das sei normal. Ist das so? Gibt es da keine Alternative? Meine Mutter hält das nicht mehr lange aus.

DR. MED. HANS SALWENDER: Es ist natürlich schwierig, ohne weitere Angaben Aussagen zu machen. Z. B. ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass er wirklich Thalidomit und Revlimid zusammen erhält. Es gibt ältere Patienten, die 40 mg Dex pro Woche schlecht vertragen, schlecht schlafen aber auch einen gewissen Muskelschwund haben, der sie zunehmend schwächt. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, die Dexamethason-Dosis zu reduzieren oder auf ein anderes Kortisonpräparat zu wechseln. Eventuell muss man auch das therapeutische Konzept komplett ändern. Mir fällt es aber, wie gesagt, schwer, aufgrund der wenigen Zeilen zu beurteilen, ob die Erkrankung Ihres Vaters ihm seine Kraft raubt, ihn regelrecht auszehrt oder die zunehmende Schwäche Ausdruck eines unerwünschten Ereignisses der Therapie ist. Es ist von mir in dieser Internetsprechstunde natürlich sehr leicht gesagt, aber, man sollte versuchen, herauszufinden, worunter er in erster Linie leidet, um die Therapie zu reduzieren aber vielleicht auch zu intensivieren.

Corinna: Mein Mann hat ein Multiples Myelom. Erst hat es ziemlich lange gedauert, bis die Diagnose stand. Im Nachhinein sind wir darüber sehr verwundert, denn es gibt ja genaue Vorgaben, wie man diese Krankheit feststellen kann. Die Behandlung folgte dann sehr schnell und massiv. Mein Mann kann sich seither schlecht konzentrieren und findet manchmal bestimmte Begriffe nicht. Hängt das mit der Chemotherapie zusammen? Er merkt das selbst und ist unglücklich darüber. Geht das wieder weg? Wie lange hält es an?

DR. MED. HANS SALWENDER: Wie ich weiter oben schon erwähnt hatte, ist es manchmal tatsächlich schwierig, das Multiple Myelom zu entdecken. In meiner spezialisierten Myelom-Sprechstunde habe ich es in aller Regel leicht, weil das Multiple Myelom bereits diagnostiziert oder hochgradig wahrscheinlich ist. Aber insbesondere bei einem jüngeren Patienten, bei dem die Erkrankung nochmals viel seltener ist als die oben genannten sechs Patienten von 100.000 Einwohnern pro Jahr herauszufinden, ob die beklagten Rückenschmerzen häufige Verschleißerscheinungen sind oder eben diese sehr sehr seltene Erkrankung, kann sehr schwierig sein. Natürlich kann man mit bestimmten Untersuchungen das Multiple Myelom sicher nachweisen, aber wie gesagt, die große Kunst ist, herauszufinden, bei welchem dieser Patienten ich diese - manchmal sehr aufwändigen und teilweise sehr schmerzhaften - Untersuchungen durchführe. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Es ist tatsächlich so, dass Patienten unter Chemotherapie aber auch unter einer Therapie mit hochdosiertem Kortison, wie vermutlich bei Ihrem Mann, Konzentrationsschwäche entwickeln. Das kann nach Absetzen der Therapie oder durch eine Verminderung der Dosis verschwinden bzw. besser werden. Aber, man muss natürlich immer im Verhältnis sehen, wie aktiv die Myelomerkrankung gerade ist, ob man sich den Verzicht auf die Therapie leisten kann. Möglicherweise kann der Versuch eines Therapiewechsels hin zu einer anderen wirksamen Therapie sinnvoll sein. Was kann Ihr Mann selbst für sich tun? Er kann z. B. versuchen, sein Gedächtnis zu trainieren mit Kreuzworträtseln oder ähnlichen Übungen. Darüber hinaus gibt es sehr sehr seltens Beeinträchtigungen des Denkens durch die Erkrankung, diese möchte ich aber aufgrund der Seltenheit hier nicht weiter ausführen.

Lissabon: Bei mir kam die Diagnose erst, als schon fast alle Wirbel beschädigt waren. Es folgten verschiedene Therapien und dann sollte ich eine Stamzelltherapie bekommen, die aber immer wieder verschoben wurde, wegen verschiedener Begleiterkrankungen. Am Ende wegen starker Schmerzen in den Füßen. Es war zum Verzweifeln. Dann klappte es doch. Obwohl im PET-CT noch geringe Aktivität festgestellt wurde geht es mir seither gut und der Status kann gehalten werden. Natürlich habe ich immer unterschwellig Angst, wie lange das so geht. Im Gespräch war schon eine zweite Stammzellübertragung. Würde der Experte mir dazu raten?

DR. MED. HANS SALWENDER: Grundsätzlich wird es bei den meisten Patienten nicht zu einer kompletten Heilung der Erkrankung kommen, sondern eher zu einem "mit-der-Krankheit-leben". Dies ist z. B. beim Bluthochdruck ganz normal. Das Ziel muss vor allem sein, dass der Patient nicht mehr durch die Erkrankung leidet (wobei eingetretene Knochenschäden bestehen bleiben können, ihre weitere Verschlechterung muss nur aufgehalten werden). Das können wir z. B. dadurch erreichen, indem wir die Erkrankung zunächst komplett beseitigen, also weder im Blut noch im Urin noch bei der bei Ihnen durchgeführten PET-CT eine Erkrankung sehen. Manchmal erfordert die Beseitigung des letzten Restes der Aktivität der Erkrankung aber eine im Verhältnis sehr hohe Giftigkeit der Therapie, so dass man abwägt, ob man winzige Reste der Erkrankung, ohne Therapie, bestehen lässt, da sie keinen Schaden anrichten und sich möglicherweise auch jahrelang still verhalten, aber man dadurch sich eine Therapie mit viel unerwünschten Ereignissen erspart.

Den nachhaltigsten Effekt hat aber die Hochdosis-Chemotherapie mit der Transplantation eigener Blutstammzellen. Hierbei kann durch ein- bis zweimalige Anwendung eine mehrere bis viele Jahre währende Krankheitsfreiheit erzielt werden und das bei - im Verhältnis hierzu - wenig unerwünschten Ereignissen. Schwächere Therapien beinhalten das Risiko eines schnelleren Rückfalls oder erfordern eine Dauertherapie. Die Transplantation von fremden Stammzellen ist deutlich riskanter als die Behandlung mit eigenen Stammzellen, ohne eindeutige Überlegenheit bezüglich der krankheitsfreien Zeit.

Aufgrund der Daten gehen die meisten Experten davon aus, dass wenn noch über 10 % Restaktivität der Erkrankung nach der ersten Stammzelltherapie mit eigenen Stammzellen besteht, eine zweite solche Stammzelltherapie mit eigenen Stammzellen sinnvoll ist. Voraussetzung ist, dass die erste Stammzelltransplantation einigermaßen gut vertragen wurde und natürlich, dass der Patient zuvor eine ausreichende Menge an Stammzellen gesammelt hat.

DR. MED. HANS SALWENDER: Ich bedanke mich für die vielen interessanten Fragen und die rege Teilnahme an dieser Sprechstunde. Zum Abschluss wünsche ich Ihnen allen nun einen angenehmen Abend.



Ende der Sprechstunde.