ITP (Morbus Werlhof) Immunthrombozytopenie – richtig behandeln

Prof. Dr. med. A. Matzdorff
Asklepios Klinikum Uckermark
Auguststraße 23
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PROTOKOLL

ITP (Morbus Werlhof) Immunthrombozytopenie – richtig behandeln

S.: Die Behandlung mit Cortison hat nur kurzfristig geholfen und hatte viele Nebenwirkungen. Wie kann ich das weitere Absinken der Thrombozyten verhindern? Kann Akupunkur helfen?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Viele Patienten erhalten am Anfang Cortison. Das ist eine seit vielen Jahren erprobte Therapie. Leider haben aber auch viele Patienten nach dem Absetzen von Cortison wieder einen Abfall ihrer Thrombozytenwerte. Insofern ist Ihre Situation gar nicht ungewöhnlich. Man gibt, wenn Cortison nicht wirkt, eine sogenannte Zweitlinientherapie. Das ist z.B. die Behandlung mit einem Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten. Das ist ein kompliziertes Wort, gemeint sind die Medikamente Revolade oder Nplate. Sie sollten mit Ihrem Arzt über diese Behandlung sprechen. Mit Akkupunktur habe ich noch keine anhaltenden Besserungen gesehen. Es gibt aber einige wenige Patienten, die probieren Akkupunktur und nach einiger Zeit normalisieren sich die Thrombozyten. Das kann aber auch ein zufälliges Zusammenfallen beider Ereignisse sein. Der letzte und wichtigste Punkt ist, ob Sie im Moment wirklich Beschwerden und Blutungen haben. Bei machen Patienten, bei denen die Thrombozyten wieder abfallen, gibt es gar keine Beschwerden. Dann muss man sich überlegen, ob man nicht abwartet, was passiert. Dies ist eine individuelle Entscheidung, deshalb sollte Ihr Hämatologe mit einbezogen werden.

Lukull: Was wird gemacht bis die Diagnose steht?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Das kommt darauf an, wie es Ihnen geht. Wenn Sie nur eine leichte Verminderung der Thrombozyten haben und sonst gar keine Beschwerden, dann kann man warten bis alle Befunde vorliegen und dann entscheiden. Wenn Sie sehr niedrige Thrombozyten haben und wenn Sie bluten dann kann man natürlich nicht warten. Normalerweise schaut sich der Arzt einen Blutausstrich an und prüft ein paar andere Laborwerte und innerhalb von 24 Stunden sollte die Diagnose stehen (bei den allermeisten Patienten). Wenn also "Not am Mann" ist, beginnen wir gleich mit Cortison und wenn der Patient weiter blutet mit Immunglobulinen. Das gilt aber nur für diese speziellen Notfälle. Schwieriger ist die Situation, wenn ein Patient auf die Erstlinientherapie nicht anspricht und man plötzlich unsicher ist, ob er überhaupt eine ITP hat. Dann wird man häufig eine Knochmarkpunktion machen und das Ergebnis hat man nicht gleich am nächsten Tag, sondern dies dauert etwas länger (bis zu 2 Wochen). Wenn der Patient blutet, wird man sich mit Cortison, Immunglobulinen, Thrombozyten-Konzentraten und einigen anderen Notfallmedikamenten helfen. Das sollte aber nur beim Spezialisten erfolgen, z.B. bei einem niedergelassenen Hämatologen oder in einer hämatologischen Klinik.

GudzuhRetzer: Seit einem Jahr habe ich schwankende Werte. Bislang bin ich gut klargekommen, gelegentlich etwas Cortison. Aber das ist keine Lösung´, denn die letzten 3 Monate sind meine Werte immer schlechter geworden. Was ist der unterste Wert, wann mit einer Blutung gerechnet werden muss? Was ist dann der nächste Schritt?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Man sagt, dass Blutungen zunehmen, wenn die Thrombozyten unter 30.000 fallen. Jeder Patient ist anders. Manche haben bei 20.000 schon zahllose blaue Flecken, Nasenbluten und Petechien. Andere haben 5.000 Thrombozyten und bluten überhaupt nicht. Das ist nicht fair, aber das ist so. Zunächst sollten Sie deshalb nicht auf die Thrombozytenzahl sondern Ihre bisherigen Blutungen schauen. Wenn Sie nur wenig bluten, dann ist genug Zeit, sich andere Therapien zu überlegen. Tatsächlich sollte Cortison keine Dauerlösung sein. Wenn Cortison nicht wirkt geben wir unseren Patienten eines der beiden Medikamente Revolade oder Nplate. Manchmal muss man diese Medikamente auch noch mit einer kleinen Dosis Cortison (kleine Dosis!) kombinieren. Und man muss den Patienten sagen, dass in den ersten Monaten die Werte weiterhin stark schwanken können. Das ist normal, nicht schlimm, allein die Blutungsneigung zählt. Die allermeisten Patienten erreichen mit dieser Zweitlinientherapie, manchmal auch mit einer Drittlinientherapie, sichere und stabile Werte.

Itourki: Was ist der Grund, wenn die Thrombozyten weniger werden?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Es gibt mehrere Gründe und die will ich kurz erklären: 1.) Die ITP ist eine Immunkrankheit des Körpers, die die Thrombozyten kaputt macht (so wie Reuma die Gelenke kaputt macht). Das ist der erste Grund, warum Thrombozyten abfallen. 2.) Bei der ITP werden nicht nur Antikörper gegen Thrombozyten gebildet, es gibt auch andere Lymphozyten, die die Thrombozyten direkt kaputt machen. 3.) In den letzten Jahren hat man gelernt, dass der Körper trotz des Thrombozytenmangels nicht genügend Thrombopoetien bildet. Das ist ein Wachstumshormon für Thrombozyten. Wenn also einerseits Thrombozyten kaputt gemacht, andererseits aber nicht ausreichend nachgebildet werden, dann fallen die Thrombozyten. Bei anderen Erkrankungen, z.B. Leukämien oder nach einer Chemotherapie fallen die Thrombozyten auch ab. Das hat aber ganz andere Gründe und ist nicht mit der ITP zu verwechseln.

Lo_Kaarst: Eigentlich bin ich in einem Alter in dem ich aufhören könnte zu arbeiten (Eventagentur), dann hätte ich weniger Druck. Aber mir macht die Arbeit Spaß und die Vorstellung, morgens aufzustehen und keinen Plan zu haben finde ich gruselig. Kann sich das positiv oder negativ auf das weitere Voranschreiten einer instabilen Thrombozyten-Erkrankung auswirken?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Das ist eine schwierige Frage, insbesondere weil ich selber älter werde und irgendwann mal aufhören möchte. Man weiß, dass Stress Auswirkungen auf das Immunsystem hat. Wenn man ständig Stress hat, den man als unangenehm empfindet, dann kriegt man leichter Infekte und auch andere Erkrankungen. Wenn man positiven Stress hat, so wie Sie, dann stabilisiert das viele Dinge. Jetzt kommt noch dazu, dass mit zunehmendem Alter die Risiken einer ITP ansteigen. Man weiß, dass ältere Patienten bei der gleichen niedrigen Thrombozytenzahl viel mehr Probleme haben als jüngere Patienten. Wenn Ihnen die Arbeit Spaß macht, warum sollen Sie nicht weiter in einem begrenzten Rahmen tätig sein (Ihrem Nachfolger mit gutem Rat zur Seite stehen). Man kann sich aber auch andere positive Ziele suchen und Zufriedenheit finden. Das ist aber dann weniger ein Thema für eine medizinische Behandlung und kann nicht vom Arzt rezeptiert werden. Insgesamt halte ich Untätigkeit für keine gute Medizin. Machen Sie was Ihnen gefällt.

Jenny: Ich habe meinen Zahnarzt informiert, dass ich nach der Geburt meines ersten Kindes schlechte Blutwerte hatte mit zu geringen Thrombozyten-Anteilen (30.000 – 55.000). Erst wollte er mich nicht behandeln, hat sich dann aber mit meinem Hausarzt kurzgeschlossen und es nun doch gemacht. Inzwischen sind meine Werte auch wieder besser, aber nicht stabil. Da ich leider keine guten Zähne habe befürchte ich, dass ich bald ein Zahnimplantat brauche. Was mache ich dann?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Viele Patienten mit niedrigen Thrombozyten haben Zahnprobleme. Die Experten sind eigentlich der Meinung, dass Zahneingriffe bei über 50.000 Thrombozyten möglich sind. Wenn die Werte darunter liegen, dann empfehle ich vor dem Zahneingriff eine kurze Cortisontherapie (nur wenige Tage), dass die Werte in einen guten Bereich ansteigen. Man kann nach der Zahnoperation auch Mundspülungen aufschreiben, die Blutungen gut stillen. Das sollte dann aber in einer Zahnklinik erfolgen. Die ITP ist eine seltene Erkrankung und ein Zahnarzt sieht nur wenige ITP-Patienten. In einer Zahnklinik, z.B. an einer Universität, sind ITP-Patienten häufiger. Deshalb empfehle ich, bei größeren Eingriffen eine Zahnklinik aufzusuchen. Wenn Ihre Werte jetzt aber über 50.000 sind dann empfehle ich erstens gute Zahnpflege und zweitens dass Sie sich keine zu großen Sorgen machen.

Nixe: Bei mir war es ein Zufallsergebnis. Es ist 4 Wochen her, dass bei meiner Schwester eine Unstimmigkeit in ihrem Blut festgestellt wurde. Das wurde zur Vorbereitung einer Gallenblasenoperation untersucht und ihr Thrombozyten-Wert war extrem weit unten. Damit erklärte sich auch ihre ständige Müdigkeit, wurde ihr gesagt. Der Arzt sagte auch, das könne eine Vorstufe von Leukämie sein, was uns fassungslos gemacht hat. Die Galle wurde operiert und sie bekommt jetzt Cortison. Es laufen auch weitere Tests. Ist das wirklich so, dass niedrige Thromb. ein Hinweis auf Leukämie sind, oder sein können?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Ein Mangel an Thrombozyten kann durch eine Leukämie verursacht sein, das ist aber eher selten. Viel häufigere Gründe sind Medikamente, Infektionen, Immunerkrankungen. Bei vielen Patienten findet man auch nicht die Ursache. Als Arzt ist man jedoch gehalten, die schlimmste Möglichkeit zuerst abzuklären. Deshalb hat er erstmal an eine Leukämie gedacht. Wenn keine Leukämie gefunden wird - das ist meist schnell möglich - dann wird man nacheinander die anderen möglichen Ursachen "abklappern". Dann bleiben immer noch ein paar Patienten, bei denen man keine Ursache findet. Und die werden dann regelmäßig kontrolliert, ob sich die Werte verschlechtern oder doch wieder verbessern. Zum Glück ist eine Leukämie oder auch eine ITP nicht erblich. Es gibt andere erbliche Thrombozytenmangelkrankheiten, die sind jedoch sehr selten und betreffen meist Kinder. Ihrer Schwester wünsche ich alles Gute.

Fischer: Ich habe im Zusammenhang mit der ITP von dem Test "MAIPA" gelesen. Was ist das und wer sollte den Test machen lassen?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Das ist eine gute Frage. Ein MAIPA ist ein Test, der ganz speziell Thrombozytenantikörper nachweist. In den 80er Jahren gab es Tests, die waren sehr ungenau. Viele Patienten und auch viele gesunde Personen hatten mit diesen alten Tests falsche Ergebnisse. Mit dem MAIPA kann man viel sicherer nachweisen, ob die Antikörper wirklich speziell gegen Thrombozyten gerichtet sind. Aber Vorsicht: Nicht alle ITP-Patienten haben einen positiven MAIPA Test. Ca. 40% der ITP Patienten haben sogar einen unaufälligen MAIPA Test. Wir machen den MAIPA Test auch, aber nur, wenn wir mit der Diagnose sehr unsicher sind. Das sind nur einige wenige Patienten. Bei den allermeisten Patienten kommt man glücklicherweise ohne diesen Test aus. Wenn Sie also einen Thrombozytenantikörpertest machen wollen, dann nur einen MAIPA. Wenn die Diagnose ITP bei Ihnen aber schon sicher ist, dann brauchen Sie den MAIPA nicht.

Buss: Seit einiger Zeit sind meine Thrombozyten-Werte nicht mehr stabil. Mal höher, mal niedriger. Kann ich trotzdem Blutspender bleiben? Ich bin dort schon darauf angesprochen worden und unter Beobachtung.

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Ich glaube leider, dass Sie nicht weiter spenden sollten. Erst muss geklärt werden, warum Ihre Thrombozytenwerte instabil sind. Was meinen Sie mit instabil? Heißt das, Ihre Werte fallen unter den Normbereich? Dann sollten Sie einen Hämatologen aufsuchen und sich untersuchen lassen. Generell finde ich aber Blutspende gut, gehe selber und möchte jeden ermutigen (auch seine Angehörigen) dies zu tun.

Ilja-Ziegler: Ich weiß inzwischen dass, das Werlhof Syndrom eine Autoimmun-Erkrankung ist. Bringt mich aber nicht weiter. Geht das wieder weg, muss ich ständig Medikamente nehmen?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Das ist eine gute Frage. Viele Patienten haben erst einmal Sorge, dass sie eine Art Krebs- oder Leukämieerkrankung haben. Das ist nicht der Fall. Eine Immunerkrankung hat eine viel bessere Perspektive. Immunerkrankungen (z.B. Reuma, Astma, Schuppenflechte) können über viele Jahre gehen oder auch plötzlich wieder verschwinden. Bei der ITP weiß man, dass 2/3 der Patienten nach 3-5 Jahren erscheinungsfrei sind und keine Medikamente mehr brauchen. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass 1/3 langfristig betreut werden muss. Das ist dann eine Dauerbehandlung und Sie sollten sich einen Arzt suchen, mit dem Sie diesen Weg gemeinsam gehen. Ich betreue viele Patienten über lange Zeit und aufgrund dieser Erfahrung mit dem jeweiligen Patienten weiß man sehr schnell, ob eine Therapie gut geht oder ob es Probleme gibt. Bei einer chronischen ITP ist die Arzt-Patient-Beziehung sehr wichtig und sollte vertrauensvoll sein. Aber bis dahin haben Sie ja noch eine gute Chance, dass die Krankheit wieder weg geht. Ich drücken Ihnen die Daumen.

Leica: Uns wurde gesagt, dass eine ITP sich bei Kindern auch von selbst zurückbilden kann. Hat man mal erforscht, was bei Kindern anders ist, so dass Erwachsene vielleicht auch in diese Richtung behandelt werden können, dass die Selbstheilungskräfte einen wieder gesund machen?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Es ist tatsächlich so, dass 80% der Kinder innerhalb weniger Monate wieder normale Thrombozytenwerte haben. Bei Erwachsenen sind die Zahlen fast umgekehrt. Es gibt keine guten Erklärungen dafür aber Theorien: 1.) Kinder haben häufig einen Infekt 2-4 Wochen vor der ITP. Wenn der Infekt abgeklungen ist, normalisiert sich auch wieder das Immunsystem und die ITP verschwindet. Erwachsene haben viel weniger Infekte. 2.) Man spekuliert, dass das Immunsystem des Kindes viel anpassungsfähiger ist. Es erkennt nach einigen Wochen, dass es die eigenen Thrombozyten kaputt macht und stellt diese Fehlreaktion wieder ab. Bei Erwachsenen scheint diese Korrektur des fehlgeleiteten Immunsystems nicht so gut möglich zu sein. Aber das sind alles Theorien und genaueres weiß man eigentlich nicht.

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Sie haben Selbstheilungskräfte angesprochen. Die Mediziner wissen nie, wie sie mit diesem Begriff umgehen sollen. Es gibt aber ein paar Faustregeln, die der Patient beachten kann. Er soll Dinge vermeiden, die die Thrombozyten zusätzlich schädigen können. Dazu gehört vor allem der Alkohol und wenn er neue Medikamente einnimmt, sollte er vorher mit seinem Arzt sprechen. Ein bisschen Sport, körperliche Aktivität und frische Luft ist auch immer sehr hilfreich und wir wissen bei anderen Erkrankungen (Krebspatienten) dass sie mit ihrer Krankheit viel besser fertig werden, wenn sie ein bisschen ihre Fitness trainieren. Das kann man sicherlich auch auf andere Erkrankungen, auf die ITP übertragen.

Klabautermann: Normale Hausärzte haben ja kaum die Chance mit der Entwicklung und mit Neuerungen großer Volkskrankheiten mitzuhalten. Wie soll das denn bei eher seltenen Krankheiten wie ITP gehen? Ich spreche über diesen Punkt mit meiner Frau nicht, um sie nicht zu beunruhigen, aber ich bin im Internet, um mich zu in informieren. Da ist aber das Problem unseriöse von seriöser Information abzugrenzen. Mir fehlt das Vertrauen daran zu glauben, dass alle Ärzte sich regelmäßig fortbilden.

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Zum Glück - oder leider - macht die Wissenschaft und die Medizin große und schnelle Fortschritte. Man kann von einem Hausarzt nicht erwarten, dass er sich mit der ITP gut auskennt. Man kann von ihm aber erwarten, dass er den Thrombozytenmangel erkennt und den Patienten zu einem Spezialisten überweist. Nun sitzen Spezialisten häufig in der Großstadt und selten in kleinen Städten oder auf dem Lande. Trotzdem können ITP-Patienten gut versorgt werden wenn der Spezialist und der Hausarzt zusammen arbeiten. Aber selbst Spezialisten (Hämatologen) können heute nicht bei allen Blut- und Tumorerkrankungen immer auf dem neuesten Stand sein. Dann gibt es Leitlinien, die Sie im Internet nachschauen können. Eine Reihe von Kollegen und ich arbeiten aktuell an einer neuen Leitlinie. Daran sehen Sie schon, wie schnell sich die Medizin verändert. Die letzte Leitlinie ist erst drei Jahre alt und schon gibt es wieder viel Neues. Ich finde es gut, dass Sie sich im Internet informieren. Bei so seltenen Erkrankungen wie der ITP muss der Patient selber zum "halben Experten" werden. Ich denke, dass die meisten Ärzte kein Problem damit haben, wenn Sie sich informieren wollen.

Meister: Ich habe die letzten drei Jahre Nplate bekommen, was gut gewirkt hat. In den vergangenen 8 Wochen Monaten sinken die Werte wieder, wenig, aber stetig. Kann es sein, dass eine Gewöhnung eintritt und Nplate nach einer gewissen Zeit nicht mehr wirkt?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Eine Gewöhnung gibt es eigentlich nicht. Bei manchen Patienten steigen die Thrombozytenwerte und sie brauchen am Ende gar kein Nplate mehr. Bei anderen bleiben die Werte stabil und bei den dritten fallen die Werte, so wie bei Ihnen. Ich würde jetzt abwarten. Wenn die Werte unter 50.000 fallen würde ich die Dosis erhöhen. Manchmal ist es nur eine vorrübergehende Schwankung. Andere Patienten haben berichtet, dass sie im Sommer und Herbst höhere Thrombozytenwerte haben als im Winter und Frühjahr. Es gibt also viele Einflussfaktoren, ein paar Wochen würden mir nicht ausreichen, die Flinte ins Korn zu schmeißen. Wenn Nplate tatsächlich nicht mehr wirkt, kann man auf Revolade umsetzen. Wenn Revolade nicht mehr wirkt kann man auf Nplate umsetzen. Wenn die Werte immer schlechter werden, keines der Medikamente wirkt und wenn Sie ständig bluten, dann kann man auch noch die Milz operieren. Das ist heute zum Glück nur sehr selten notwendig. Ich wollte damit nur sagen, es gibt noch viele Therapieoptionen. Ich drücken Ihnen die Daumen.

Emmi: Kann man sagen, wodurch diese Krankheit ausgelöst wird?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Nein - es gibt nur ein paar Ideen: Bei Kindern hat man häufig vor dem Auftreten der ITP einen Infekt. Man vermutet, dass dieser Infekt irgendwie das Immunsystem "aus der Bahn schmeißt". Bei Erwachsenen findet man nur selten einen Infekt in der Vorgeschichte. Immer wieder fragen auch Patienten, ob ein Medikament ihre ITP ausgelöst hat. Die ITP besteht dann aber weiter, trotzdem sie das Medikament nicht mehr nehmen. Kein Mensch weiß warum bei dem einen Kind der Infekt die ITP auslöst, bei den vielen anderen Kindern aber nichts passiert. Genauso weiß keiner, warum bei einem Patienten ein Medikament eine ITP auslöst, bei den allermeisten anderen aber nicht. Dazu brauchen wir noch viele Forschungen. Manche Patienten wollen wissen, ob es etwas gibt, dass man einer ITP vorbeugen kann. Das ist nicht der Fall. Menschen die sehr gesund leben, können genauso eine ITP bekommen wie Menschen die sehr ungesund leben.

Rainer: Welche Vorteile / Nachteile bei Tabletten oder Spritze?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Sie fragen wahrscheinlich nach den Vorteilen und Nachteilen von Revolade-Tabletten oder Nplate-Spritzen. Das kommt zuerst einmal auf Sie selber an. Manche Patienten haben Angst vor Spritzen und können sich diese nicht selber geben. Dann verschreibe ich natürlich Revolade-Tabletten. Andere Patienten haben Probleme, 3-4 Stunden vor der Revolade Tablette nüchtern zu bleiben- dann verschreibe ich lieber Nplate-Spritzen. Dem dritten ist es völlig egal. Dann biete ich ihm beide Sachen an, weil ich nicht denke, dass das eine Medikament besser oder schlechter ist als das andere. Der Patient muss dann selber prüfen welche Therapie ihm mehr liegt. Bei Kindern wird man eher die Tabletten geben.

Pulsmayer: Seit meine Frau Brustkrebs hatte (2006) und mehrere Chemos bekommen hat, kämpft sie seit 2 Monaten wegen Rückfall wieder mit ganz starken Schwierigkeiten. Dazu gehört, dass bei ihr die Thrombozyten weit runtergehen. Am extremsten waren die mal bei 7.000. Alles wurde ausprobiert und hat nur kurz geholfen. Das hat zu schwierigen Situationen geführt. Ein halbwegs normaler Alltag war nicht mehr möglich. Jetzt geht alles wieder los, nur sind wir dieses Mal mit Erfahrung ausgestattet und können konkreten Anweisungen sicherlich besser folgen. Wir würden uns über den Rat von Prof. Matzdorff sehr freuen und bedanken uns im Voraus!

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Bei Ihrer Frau handelt es sich, wenn ich das richtig verstehe, nicht um eine ITP sondern einen Thrombozytenabfall, der von der Chemotherapie ausgelöst wird. Das ist auch nicht selten, dass Patienten mit steigender Zahl an Chemotherapien immer stärker mit den Thrombozyten abfallen. Die Behandlung ist aber ganz anders als bei einer ITP. Man wird dann entweder die Dosis der Chemotherapie reduzieren oder bei Blutungen Thrombozytenkonzentrate geben. Tatsächlich ist es so, dass die Medikamente Nplate und Revolade auch bei Chemotherapiepatienten mit Thrombozytopenie probiert werden. Die Forschung ist aber noch nicht über das Experimentierstadium hinaus gekommen und ich würde meinen Patienten mit Chemotherapie diese Medikamente noch nicht verschreiben. Ich wünsche Ihrer Frau alles Gute, Brustkrebs ist mit den modernen Medikamenten gut behandelbar und Ihr betreuender Hämatologe oder Onkologe wird sich mit den Thrombozyten sicherlich auch auskennen.

Ostfriese_K: Gibt es Medikamente, das zu einer Heilung im Zentrum der Produktion von Thrombozyten führt, damit sie wieder gleichmässig entstehen, wie ganz normal bei einem gesunden Menschen? Oder ist eine Behandlung immer nur darauf fokussiert die Anzahl der Thrombos zu steigern?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Im Zentrum der Krankheit steht das gestörte Immunsystem. Es gibt noch kein Medikament, mit dem man diese Störung wieder abschalten kann. Sie haben also Recht, dass die bisherigen Medikamente immer nur an den Symptomen "herumdoktorn". Das Cortison bremst die Immunreaktion, normalisiert sie aber nicht. Revolade und Nplate steigern die Thrombozytenbildung, normalisieren aber nicht die Mutterzellen der Thrombozyten im Knochenmark. Ich glaube, dass es noch ein weiter Weg ist, bis wir das Immunsystem wirklich verstehen und an den Kern der Sachen herankommen. Viele naturheilkundliche Mittel, die versprechen, das Immunsystem zu stärken oder zu normalisieren, sind da auch nicht hilfreicher. Am optimistischsten macht mich die Beobachtung, dass sich bei vielen Patienten die Immunstörung von selber normalisiert. Bei Kindern geht das meist sehr schnell, bei Erwachsenen dauert das manchmal viele Jahre. Ich hoffe dass wir in 5 oder 10 Jahren deutlich bessere Medikamente haben und Cortison gar nicht mehr brauchen.

Alex-Brenke: Es gibt offenbar nicht so viele Möglichkeiten, was man gegen eine ITP machen kann. Liegt das daran, dass die Patientenzahl begrenzt ist und die Investitionen für Forschung nicht lohnen? Ich habe nicht das Gefühl, wirkliche Alternativen in der Behandlung zu haben (bin in einer Tabletten-Behandlung) und es macht mich unsicher. Was ist, wenn die Tabletten nicht mehr wirken? Gibt es das?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Wir sind heute schon viel besser dran als vor 20 Jahren. Damals hatten wir nur Cortison und Immungloboline und wenn das nicht reichte, die Entfernung der Milz. Heute gibt es Revolade, Nplate und eine Reihe anderer Medikamente, die zwar nicht zugelassen, aber wirksam sind (Rituximab, Dapson, Danazol, u.a.). Wir können dem Patienten also viel mehr Therapien anbieten. Wir haben aber nicht unendlich viele Therapien. Auch bei den hohen Blutfett- und Cholesterinwerten gibt es nur 3-4 verschiedene Behandlungsformen und nicht unendlich viele. Sie haben aber Recht, dass über die ITP nicht so intensiv geforscht wird wie über andere und viel häufigere Erkrankungen. Das ist völlig normal so. Dennoch wurden in den letzten Jahren Fortschritte gemacht und sprechen Sie Ihren Arzt darauf an. Selbst wenn die Tabletten nicht mehr so gut wirken gibt es noch gute Alternativen. Fragen Sie Ihren Arzt, wie viele ITP Patienten er noch behandelt, dann sehen Sie wie groß seine Erfahrung ist.

Riepener8: Mein Vater war immer müde und erschöpft, wir fanden auf eine unnatürliche Art. Außerdem beklagte er sich über ziemlich starke Rückenschmerzen. Er hatte aber nie Rückenschmerzen vorher. Da hat sein Hausarzt ihn mal richtig durchuntersucht und heraus kamen ein extrem niedriger Thrombozytenwert und ein NHL. Worin besteht da die Verbindung? Was bedeutet das, dass er gleich zwei Krankheiten auf einmal hat? Oder ist die eine aus der anderen entstanden? Natürlich ist das NHL viel schlimmer, aber wenn das Blut nicht gut ist in der Zusammensetzung macht das ja alles noch komplizierter oder?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Leider ist die Antwort nicht ganz einfach. Ein Non-Hodgkin-Syndrom kann im Knochenmark die anderen Zellen zur Seite drängen, sodass keine Thrombozyten mehr gebildet werden. Das ist der häufigste Fall. Ein Lymphom kann aber auch das Immunsystem durcheinander bringen und plötzlich bildet der Patient Antikörper gegen Thrombozyten. Das ist dann ähnlich wie eine ITP, aber schwieriger zu behandeln. Im ersten Fall wird man wahrscheinlich eine Chemotherapie und Antikörper geben. Im zweiten Fall muss man sehen, ob man das Lymphom behandelt oder das Lymphom und die Thrombozytenantikörper gleichzeitig. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass bei Ihrem Vater das Lymphom ausgebereitet ist und die Thrombozytenbildung an die Wand gedrückt hat (1. Fall). Wahrscheinlich wird man ihm bald eine Chemotherapie und Antikörper geben. Die Ansprechraten sind heute sehr gut. Nicht bei allen aber bei vielen Patienten.

Kardinahl: Wie grenzt sich eine ITP gegen die sogen. „Bluterkrankheit“ ab? Die Auswirkungen sind doch ähnlich, dass durch Stöße o.ä. großflächige Blutungen entstehen.

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Vielen Dank für diese Frage, das ist eine wichtige Frage. Die Bluterkrankheit ist erstens erblich, zweitens betrifft sie in der Regel nur Männer und drittens bluten die Patienten in Gelenke, in die Muskulatur, manchmal auch in innere Organe und in das Gehirn und sie haben große blaue Flecke. Die ITP ist nicht erblich, betrifft Männer und Frauen, die Blutungen sind anders (keine großen blauen Flecken sondern eher kleine blauen Flecken), die Patienten haben Petechien (das sind ganz kleine Hautblutungen) und sie bluten zum Glück nur sehr selten in innere Organe oder in den Schädel. Kinder mit Bluterkrankheit müssen lebenslang behandelt werden und haben häufig viele Komplikationen. Kinder mit ITP haben in den allermeisten Fällen nach 2-3 Monaten die Krankheit überwunden. Eine ITP ist also viel besser als eine Bluterkrankheit.

Melody: Was kann ich selbst dazu beitragen, dass ich doch noch wieder auf normale Thrombozytenwerte komme? Ich bin erst 32 und darf aufgrund dieser Situation nicht in meinem Beruf (Elektrikerin) arbeiten, weil er mit Leiterstehen usw. verbunden ist. Ich bin in einer Umschulung. Muss ich ja machen. Bin aber wenig motiviert, weil ich meinen Beruf sehr gezielt ausgewählt habe und er mir viel Spaß macht! Hat Herr Prof. Matzdorff einen Vorschlag?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Ich möchte Ihnen für Ihr Engagement gratulieren und denke, dass man die Sache hinkriegen kann. Erstens brauchen Sie keine normalen Werte, sondern es reicht, wenn die Thrombozyten über 70-100.000 sind. Wenn Sie diese Werte nicht haben, dann wird man Ihnen sicherlich Revolade oder Nplate anbieten können, dass die Werte in einen sicheren Bereich ansteigen. Außerdem habe ich gar nicht gewusst, dass Elektriker ein hohes Blutungsrisiko haben. Vielleicht kann Ihnen Ihr Hämatologe eine positive Bescheinigung ausstellen. Und selbst dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass nach 1-2 Jahren die ITP verschwunden oder wenigstens deutlich besser geworden ist.

Arus_Tiedtke: Manchmal habe ich Phasen, da habe ich an den Oberarmen mehrere blaue Flecke. Meist kann ich mich nicht erinnern, wie ich die bekommen habe. Die gehen dann wieder weg und alles ist wieder gut. Diese roten Punkte habe ich auch, aber nicht mehr, als andere. Muss ich mir Sorgen machen?

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Wahrscheinlich müssen Sie sich keine Sorgen machen. Wir Ärzte denken, dass blaue Flecken an den Armen und Beinen und auch Petechien (rote Punkte) nur milde Blutungen sind. Von starken Blutungen reden wir erst wenn der Patient aus Mund und Nase blutet und das nicht nur für 5 sondern für 10-15 Minuten, wenn er ständig große blaue Flecken am Rumpf hat oder wenn der rote Blutfarbstoff (Hämoglobinwert) abfällt. Wenn Sie also nur phasenweise diese blauen Flecke an den Armen haben, dann ist das eine milde Blutungsneigung. Ein bisschen gesunder Menschenverstand (Nicht boxen!) ist natürlich auch notwendig.

Prof. Dr. med. A. Matzdorff: Ich danke allen für Ihr Interesse an der Erkrankung, bitte bleiben Sie am Ball und unterstützen Sie auch andere Patienten soweit Ihnen das möglich ist.



Ende der Sprechstunde.